Rezo oder die Zerstörung der Blauhaarfrisur – Teil IV und Schluss

Lieber Rezo,

Du hast Dich kürzlich bei Deinen Youtuber-Freunden Fabian und Steven hämisch über zwei Themen ausgelassen, die mich beruflich wie demografisch leider triggern: Printmedien und ältere Mitbürger.

Dazu kommt hier der Levitenlesung 4. Teil:

Nicht zerstören, sondern ändern und aufbauen!

Lieber Rezo,

Dir verdankt die deutsche Sprache den Neologismus „Zerstörungsvideo“. Das kann kein Grund sein, stolz zu sein. Die Welt braucht konstruktive Kritik, nicht Destruktion und Disruption. Oder wenn, dann bedarf es der „schöpferischen Zerstörung“ nach Joseph Schumpeter, also der Verdrängung des (vermeintlich) Guten durch das Bessere. Was gut ist, besser und am besten, ist in der Tat eine Frage, die vor allem Deine Generation betrifft, die zugleich die meiner Kinder ist. Wer heute unter 40 ist, muss sich darauf einstellen, die Folgen kurzsichtiger, mutloser und populistischer Umwelt-, Klima-, Entwicklungs- und Migrationspolitik noch mitzuerleben. Wer eine Karriereentscheidung trifft, die auf ein Weiterso hinausläuft, wer sich hedonistisch verhält und ausblendet, welchen Schaden sein Lifestyle oder der Geschäftszweck seiner Firma den Menschen anderswo auf der Erde zufügt, kann die Schuld nicht den Alten in die Schuhe schieben.

Wir Medienmenschen, alte wie ich und junge wie Du, können die Welt zwar nicht retten. Aber wir können das Unsere tun, Informationen zu finden und in verständlicher Form weiterzuverbreiten, mit deren Hilfe das Leben auf diesem Planeten für die Menschheit einigermaßen erträglich bleibt. Wir können Anwälte der Vernunft sein.

In dem Sinne: Du hast es geschafft, die Aufmerksamkeit von Millionen zu wecken. Verspiele dieses Kapital nicht, indem Du Dich sinnlos an der BILD-Zeitung abarbeitest und sagst, „mimimi, die FAZ stellt mir keine gescheiten Fragen“! Zeig, was Du drauf hast, dass Du mehr bewirkst als wir traditionellen Medienheinis!

Falls Du darauf keinen Bock hast: Halt einfach die Klappe.

Asoziale Medien oder: Schweinereien im Internet of Fury

Ein Virus geht um. Es ist eine Art Computervirus, denn er verbreitet sich epidemisch über das Netz, aber er befällt nicht den Rechner, sondern das Gehirn nicht immunisierter User. Warum warnt die BZgA nicht „Twitter und Facebook schaden Ihrer geistigen Gesundheit, Teilnahme erst ab 80 Jahren“?

Es ist unmöglich, nicht sarkastisch zu werden*: In den vergangenen Tagen hat das wütende Gegeifer in den Asozialen Medien eine so dumme Brutalität, eine so brutale Dummheit angenommen, dass man sich regelrecht einen sofortigen Blackout der großen Serverfarmen wünscht. Wir erleben nicht – wie uns versprochen ward – das Internet of Things oder das Internet of Money, sondern das Internet of Fury (IoF), das Internet der blinden Wut. Man müsste dieses Netz wohl komplett abschalten, damit seine Insassen wieder zur Besinnung kommen. Und anschließend würde es nur für diejenigen peu à peu wieder freigeschaltet, die eine kleine Prüfung in den Fächern „Logisches Denken“ und „Non-brachiale Kommunikation“ mindestens mit „ausreichend“ bestanden haben. Die anderen müssten – wie ein Autofahrer, der im Delirium am Steuer erwischt wurde – so lange immer wieder zur MPU antreten, bis sie beweisen, dass sie nun eigenverantwortlich denken können.

* Im Original: Es ist schwierig, keine Satire zu schreiben

Ja, es gab zum Glück jeden Tag vernünftige Stimmen zu hören. Aber ich hatte den Eindruck, dass die rassistischen, chauvinistischen, reaktionären und protofaschistischen Brülltrolle überall das Letzte Wort haben mussten – und dass es sich nicht um Bots handelte, sondern um real existierende Zeitgenossen. Sie geben erst auf, wenn die Vernünftigen und Denkenden endlich still sind. So erschreckend es ist: Es muss auch außerhalb der AfD-Filterblase bereits viele Menschen geben, die sich ähnlich beängstigend radikalisiert haben wie ein eingeknasteter Dinslakener Salafist und die den braunen Mist, den sie in die Tastatur kippen, selbst glauben.

Besonders betroffen macht mich, dass ausgerechnet ein Journalistenkollege, der wie ich die Deutsche Journalistenschule besucht hat, den Verbalhyänen den zum Himmel stinkenden Gammelfleischbrocken, der ihre niedersten Instinkte weckte, wie einen Köder hingeworfen hat. Sie wissen, was ich meine: das angebliche Schweinefleisch-und-Gummibärchen-Verbot an zwei Leipziger Kindergärten. Bitte denken Sie nicht, dass man das, was sich Timo Lokoschat, Absolvent der 39. Lehrredaktion und heute Mitglied der Chefredaktion der BILD, geleistet hat, an der DJS lernen würde. Als langjähriges Mitglied des DJS-Förderkreises kann ich die Schule nur in Schutz nehmen: Man lernt an dieser Schule nicht, Bagatellen künstlich aufzubauschen. Man lernt nicht, Mitbürgerinnen „Asoziale Medien oder: Schweinereien im Internet of Fury“ weiterlesen

Artikel 11 für Dummies

Wer diese Seite liest, hat wahrscheinlich einen Link auf Facebook oder Twitter angeklickt und möchte wissen, was es mit den drei furchtbar schrecklichen Artikeln der EU-Richtlinie zum Urheberrecht im Digitalen Binnenmarkt auf sich hat. Hier geht es um Artikel 11, also das Leistungsschutzrecht für Presseverlage, dort um Artikel 12 und unter diesem Link um Artikel 13.

Was Artikel 11 nicht bewirkt: eine Link-Tax

Wen Artikel 11 nicht betrifft: normale User

Wen Artikel 11 betrifft: Suchmaschinen und Nachrichtenaggregatoren, die mit ihren Algorithmen automatisch journalistische Texte finden und Auszüge daraus anzeigen

Worum es nicht geht: das Anklicken von Links zu Medien-Websites zu be- oder verhindern, wie es das Schlagwort von der Linksteuer fälschlicherweise suggeriert

Worum es geht: das Anklicken von Links zu Medien-Websites nicht durch Textauszüge überflüssig zu machen, die bereits das Wesentliche des Inhalts vorwegnehmen – so wie die vergrößerten Vorschaubilder in der Google-Bildsuche dazu führt, dass die User nur noch einen kleinen Teil der angezeigten Seiten aufrufen

Warum das Leistungsschutzrecht Urhebern nicht schadet: weil es sich schlimmstenfalls als nutzlos erweist und daher keine zusätzlichen Einnahmen bringt

Warum das Leistungsschutzrecht Urhebern vielleicht sogar nützt: weil die Richtlinie vorsieht, dass die Verlage ihre Autoren an den Erträgen beteiligen

 

 

 

Artikel 12 für Dummies

Wer diese Seite liest, hat wahrscheinlich einen Link auf Facebook oder Twitter angeklickt und möchte wissen, was es mit den drei furchtbar schrecklichen Artikeln der EU-Richtlinie zum Urheberrecht im Digitalen Binnenmarkt auf sich hat. Hier geht es um Artikel 12, also die Verlegerbeteiligung an Einnahmen von Verwertungsgesellschaften, dort um Artikel 11 und unter diesem Link um Artikel 13.

Was nicht drinsteht: dass Autoren „wieder (fast) die Hälfte“ der Tantiemen an die Verlage abgeben sollen.

Was Artikel 12 wirklich ist: eine Kann-Bestimmung, die es den nationalen Gesetzgebern erlaubt, eine früher im jeweiligen Land zulässige Verlegerbeteiligung wieder zu gestatten.

Was es mit der Hälfte der Tantiemen auf sich hat: Dieser hohe Verlegeranteil geht auf die VG Wissenschaft zurück, die 1978 mit der VG Wort fusionierte und danach in deren neuer Abteilung Wissenschaft aufging. Laut deren Verteilungsplan bekamen die Fachverlage 50 Prozent der Ausschüttung, während den Publikumsverlagen 30 Prozent zustanden. Infolge des bis zum BGH geführten Rechtsstreits zwischen dem Fachautor Martin Vogel und der VG Wort entscheiden die Autoren zur Zeit selbst, ob sie einer Verlegerbeteiligung überhaupt zustimmen. Im Online-Bereich (METIS) ist dieser mögliche Anteil von 40 auf 30 Prozent gesenkt worden, soweit der Text nicht hinter einer Bezahlschranke liegt; er entspricht nun dem traditionellen Anteil bei Presse und Belletristik.

Welche Verlage in der VG Wort überhaupt mit am Tisch sitzen: Belletristik- Verlage, Fachverlage, Bühnenverlage.

Wer nicht mit am Tisch sitzt: Verleger von Tageszeitungen und Publikumszeitschriften, Rundfunkanstalten, Privatsender. „Artikel 12 für Dummies“ weiterlesen

Was die Urheberrechtsrichtlinie wirklich bringt

Im vorigen Blogpost habe ich mich mit der Berliner Demo gegen die neue Urheberrechtsrichtlinie befasst. Hier möchte ich ergänzend Hintergründe liefern, die helfen, zu verstehen, worum es wirklich geht, warum manche „Experten“ mit Vorsicht zu genießen sind und warum ich der Ansicht bin, dass die geschätzten Freischreiber mit ihrer kompromisslosen Ablehnung von Artikel 12 den Urhebern keinen Gefallen tun. 

Es mag banal klingen, ist es aber nicht: Der beste Ausgangspunkt ist natürlich das Studium der Originalquelle (Richtlinientext als PDF). Man merkt den Veröffentlichungen über die Urheberrechtsrichtlinie an, dass viele Autoren sich die Zeit dafür nicht genommen haben oder in der seit dem 16. Februar kursierenden Kompromiss-Fassung mit drei weißen und einer grünen Spalte den Überblick verloren haben. Die hier oben verlinkte Version ist quasi netto, enthält also nur noch den zur Abstimmung stehenden Text ohne die Änderungshistorie mit den von Parlament, Kommission und Rat eingebrachten Streichungen und Ergänzungen.

Da nicht jeder das Juristenenglisch auf Anhieb versteht, empfehle ich jedem, der mitreden oder sich zum Thema äußern möchte, dieses Papier (PDF) des Stuttgarter Musikers und Produzenten Markus Hassold. Markus ist nicht nur Profi-Drummer, sondern studierter Jurist mit Spezialgebiet Urheberrecht. Markus dröselt ganz genau auf, für wen die Vorschriften überhaupt gelten sollen und wen sie nicht betreffen, und bringt in seiner Kritik an der Kritik das ganze Gebäude an Halbwahrheiten zum Einsturz, das vielen Leuten Angst macht. Wichtig sind die Anmerkungen zu Artikel 2 (Definitionen und Abgrenzungen) und 9a (erweiterte Rechtewahrnehmung durch die Verwertungsgesellschaften).

Uploader dürfen mit Richtlinie mehr als ohne

Damit wird klar, dass Artikel 13 das Ziel hat, gleichermaßen die Interessen der Urheber und der „Uploader“ zu schützen und nicht etwa Veröffentlichungen zu verhindern oder gar eine Zensur-Infrastruktur zu schaffen, wie der bösartigste, absurdeste und am hartnäckigsten wiederholte Vorwurf lautet. Die am häufigsten gestellten Fragen (FAQ) zu Art. 13 hat außerdem die GEMA sehr allgemeinverständlich beantwortet – und entgegen landläufigen Gerüchten ist diese Verwertungsgesellschaft tatsächlich keine Organisation, die Urheber ausbeutet, sondern im Gegenteil deren treuhänderischer Inkassoverein. Die GEMA kämpft dafür, dass die Schöpfer von Musik fair vergütet werden, wenn ihre Songs gespielt, heruntergeladen oder gestreamt werden. 87 Prozent der Mitglieder sind Komponisten und Textdichter, der Rest sind Musikverleger und Erben verstorbener Urheber.  „Was die Urheberrechtsrichtlinie wirklich bringt“ weiterlesen