Journalismus, „Prinzip Billig“

Früher waren Redaktionen von überregionalen Tageszeitungen so ausgestattet, dass die Ressortleiter sich leisten konnten, prophylaktische Nachrufe auf alle relevanten Promis vorzuhalten. Starb einer tatsächlich, war das aktuelle Gerüst rasch um diesen Korpus herum getextet. Das Ganze wirkte professionell, sah nicht aus wie mit der heißen Nadel gestrickt.

Wenn heute jemandem wie Theo Albrecht etwas nachzurufen ist, läuft das anders. Beispiel SZ: Obwohl die Wirtschaftsredaktion bei einem 88-Jährigen Unternehmer, der nicht mehr gesund war, von dessen Tod nicht wirklich überrascht worden sein kann, arbeitet das Blatt dieses Ereignis über zwei Tage hinweg ab. Am Mittwoch war die selbst vom Boulevard verpennte Beerdigung, am Donnerstag widmete sich die Seite 3 dem Aldi-Nord-Boss, am Freitag füllte die Wirtschaft vier von sechs Spalten einer Seite mit lieblos zusammengeklaubtem (pardon, das harte Wort muss hier leider sein, denn „Stehsatz“ wäre zu gnädig) Content rund um das Thema Aldi. Man möchte die Textsammlung fast für den Boring Article Contest nominieren, den Michael Kinsley von The Atlantic Wire sich ausgedacht hat (danke für den Hinweis auf der SZ-Medienseite vom 31. Juli, lieber Alex Rühle). Aber um da zu gewinnen, muss es EIN langweilig-überflüssiger Text sein und nicht mehrere.

Die wahn-sin-nig phantasievolle Headline lautet „Prinzip Billig“, und die darüber thronende Dachzeile führt den Leser auf gedankliche Abwege: „Nach dem Tod von Theo Albrecht: Der harte Kampf im Einzelhandel“. Das eine hat freilich mit dem anderen nichts zu tun. Der Kampf fand schon zu Theos Lebzeiten statt. Dessen Tod ändert auch nichts an der Intensität, denn der 88-Jährige hatte sich aus dem Management längst zurückgezogen.

Weitere Spitzenleistungen auf der 2/3-Aldi-Sonderseite: „Journalismus, „Prinzip Billig““ weiterlesen

qualitätSZeitung?

Kollegen niedermachen will ich eigentlich nicht. Als zahlendem Abonnenten sträuben sich mir allerdings manchmal dermaßen die Nackenhaare, dass ich nicht anders kann, als zu meckern — zumal ich als Freund des Printmediums und der Tageszeitung es für geboten halte, konstruktive Kritik zu üben, schon allein damit nicht jene Blogger recht bekommen, die meinen, uns von der Holzpresse pauschal für obsolet erklären zu müssen.

Natürlich könnte ich meine Kontakte nutzen und meine Kritik unter Ausschluss der Öffentlichkeit der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung mitteilen. Das nützt nur leider nix: Der berühmte Kollege aus meiner Lehrredaktion würde mir zwar antworten, sich aber schützend vor seine Mitarbeiter stellen, wie ein guter Chef das eben tut. Leider hätte er nicht die Mittel, ein paar mehr gute Redakteure einzustellen, um wieder die qualitätSZeitung zu produzieren, die die SZ mal war und die uns Abonnenten eigentlich zustünde, die wir Jahr für Jahr mehr Geld überweisen.

Also sei hier festgehalten: Das Feuilleton ist zu unterbesetzt, um auch nur die Aufmacherseite ihres Buchs „qualitätSZeitung?“ weiterlesen

BILD putzt Ihre Zähne

Lieber Mathias Döpfner,

Ihre Axel Springer AG ist für das Volk, was Ferrero für Kinder ist. Oder vielmehr umgekehrt, ich bin schon ganz durcheinander. Das Volk ist für Springer, was kinder für Ferrero sind – Marke und Zielgruppe in einem. Wer kinder liest, kleingeschrieben mit schwarzem k und rotem inder , weiß, dass er es mit dem nutella -Fabrikanten zu tun hat. Wer Volks- liest, mit weißem Volk auf rotem Grund, also BILD-Logo-mäßig koloriert, der weiß, dass Ihre Leute die Finger drin haben. Die Volks-Produkte seien Ervolks „Erfolgsgaranten“, heißt es auf der Springer-Website. Gemeint ist nicht der Erfolg der Leser, versteht sich, sondern jener der Werbekunden.

Nach Volks-Arznei, -Bibel, -Computer, -DSL, -Empfänger -Laufschuh und -Wagen -T-Shirt bringen SIe jetzt also die Volks-Zahnbürste unter dasselbe. Leider stiften Sie dabei gemeinsam mit Ihrem Werbepartner ordentlich Verwirrung.

Da kaufe ich also gestern beim Elektrohändler meines Vertrauens eine Packung Aufsteckbürsten Typ „Precision Clean“ für meinen Elektroantrieb der Marke „Braun Oral B Professional Care“ aus dem Hause Gillette. Weil der Laden keinen Achter- oder Doppelviererpack anbietet, entscheide ich mich — Zahlenfüchse aufgepasst! — für eine „volksgünstige“ 7+1-Packung zum Preis von etwa 1,6 Exemplaren der üblichen (volksungünstigen?) 4+1-Packs.

Und was steht drauf?

„Empfohlen von der Volks-Zahnbürste“

Verschärftes Nachdenken fördert folgende Erkenntnisse zu Tage:

1. Die Bürsten, die ich gekauft habe, sind gar keine Volks-Zahnbürsten, „BILD putzt Ihre Zähne“ weiterlesen

Nachtrag zum BJVreport: Mehr tun fürs Geld bei Metis

Der neue BJVreport ist draußen, mit einer Titelstory zur VG Wort, und schon muss ich etwas aktualisieren. Bei Redaktionsschluss stand noch nicht fest, wie die Online-Texte für 2009 bewertet werden sollen. Ich hatte deshalb nur die Zahlen von 2008 nennen können.

Da 2009 viel mehr Meldungen eingingen als 2008 – bei der Sonderausschüttung rund doppelt so viele – geht der Betrag pro gemeldeten Text deutlich zurück. Auf der Verwaltungsratssitzung am 21. Mai und abschließend auf der Mitgliederversammlung am 22. Mai in Berlin stehen standen folgende Werte zur Diskussion: „Nachtrag zum BJVreport: Mehr tun fürs Geld bei Metis“ weiterlesen

WAZ-Mitarbeiter verzweifelt gesucht

Noch vor ein paar Jahren wollten (fast) alle jungen Leute „was mit Medien machen“ und rannten daher allen denkbaren Redaktionen die Bude ein. Die Westdeutsche Allgemeine hat inzwischen entweder ihren Personalbestand so stark ausgedünnt, dass der Nachschub an Freiwilligen, die billig die Seiten füllen wollen, nicht mehr ausreicht, oder ein Job in der Lokalredaktion ist dermaßen unattraktiv geworden, dass selbst die idealistischsten Schwärmer dieses Ziel aufgegeben haben. Wie auch immer: Die Bottroper Lokalredaktion hat es nötig, ihre Leser bei der Rekrutierung um Hilfe zu bitten. Vielleicht hat ja die eine oder andere treue Altabonnentin einen Enkel, der die Grundanforderung an einen Journalisten erfüllt („beste Rechtschreibkenntnisse“) und bereit ist, seinen Online-Jargon abzulegen und „Inhalte von Terminen“ (a.k.a. Verlautbarungscontent) fortan „exakt und im zeitungstypischen Stil wiederzugeben“. Also in einem Deutsch, in dem man „Sachverhalte kennenlernt“, als seien es Menschen.

Wer sich nicht zutraut, Termine zu besuchen (zum Beispiel, weil er glaubt, man könne nur Menschen an einem Termin besuchen respektive Termine wahrnehmen) sollte natürlich lieber die Griffel davon lassen.

Redaktion sucht freie Mitarbeiter