Missionar in eigener Sache

Wer Michael Greve nicht mehr viel zutraut, dem sei verziehen: Schon zweimal hat der Web-Unternehmer hochfliegende Erwartungen geschürt und dann auf der ganzen Linie enttäuscht. Doch er lässt sich nicht beirren – und verfügt über genügend Geld, um noch lange durchzuhalten

Wenn sich Michael Greve Zeit für ein persönliches Treffen nimmt, führt er den Besucher erst einmal hinab in die Katakomben. Hinter den Sicherheitsschleusen im Untergeschoss des loftig-schnieken Anwesens Amalienbadstraße 41 in Karlsruhe-Durlach, in dem einst die schnöde Firma Pfaff schnöde Nähmaschinen montierte, gilt es, ein Rechenzentrum von Weltformat zu bewundern. Fünf Petabyte, also fünf Millionen Gigabyte, können die Server speichern, die sich in hermetisch abgeschirmten, aufwendig brandgeschützten Räumen bis unter die Decke türmen. Bündelweise führen Glasfaserkabel aus dem LED-blinkenden Multi-User-Verlies hinaus ins weltweite Netz, 20 Gigabits pro Sekunde passen durch die Super-Pipeline. Kein Zweifel: Greves Untergrundreich, ein von allerlei merkwürdigen Gestalten namens „Combots“ bevölkertes Paralleluniversum, ist bestens gewappnet für einen Ansturm ungeheurer Horden von Usern. Müsste etwa die gesamte Einwohnerschaft von Second Life samt ihrer Simmobilien auf Völkerwanderung gehen, fände sie hier locker 50-fach Unterschlupf.

Doch so stolz Greve seine Luxus-Serverfarm präsentiert, so ungern spricht er über ihre fast demütigend niedrige Auslastung: Erst 30.000 Nutzer machen nach aktuellsten Zahlen Gebrauch von der imposanten Infrastruktur, mit deren Hilfe Greve das Versenden von Nachrichten und Dateien neu definieren will (siehe Kasten rechts). Rein rechnerisch könnte jeder der im Juli 2007 angemeldeten Combots-User hier 167 Gigabyte als Zwischen lager für seine Videoclips, Fotos und Sprachnachrichten okkupieren – weit mehr als die meisten von ihnen auf der Festplatte ihres Heimcomputers zur Verfügung haben dürften. Diese überaus üppigen Kapazitäten ließ sich Greve allein im zweiten Quartal 2007 mehr als 100 Euro pro Kundenkopfkosten. Kassiert hat er im Durchschnitt weniger als zehn Cent. Anders gesagt: 99,9 Prozent der laufenden Aufwendungen sind nicht durch Einnahmen gedeckt.

Für wen sich das nach einer Neuauflage von New-Economy-Blütenträumen nach 1990er-Jahre-Muster anhört, der liegt natürlich erst einmal genau richtig: Auch in dieser Zeit des locker sitzenden Börsengeldes gaben Unternehmer Abermillionen von Euros aus, bevor sie sich um die zu solchen Investitionen passenden Einnahmen kümmerten – in den meisten Fällen viel zu spät. Auch Greve selbst ist ein Kind dieser Ära. Als Mitgründer des Portals Web.de gehört er allerdings zu den wenigen, deren Netzunternehmen nicht nur überlebt haben, sondern sogar selbst zu begehrten Übernahmeobjekten wurden. Mit den so herangeschafften 200 Millionen Euro in bar und United-Internet-Aktien, die dank Kurssteigerungen an der Börse inzwischen weitere rund 300 Millionen Euro wert sind, will der Maserati-Fahrer im zweiten Anlauf schaffen, womit er bei Web.de gescheitert ist: Sein Combots-Dienst soll die Welt der Internet-Kommunikation revolutionieren und der gleichnamigen Nachfolgerfirma zu Millionen verhelfen. Bislang allerdings steht diesen großen Plänen nur ein homöopathischer Umsatz von 3000 Euro im Quartal gegenüber.

Lokaltermin also beim umstrittenen Star-Gründer. Der 44-Jährige hat zwar nicht das Charisma des Herr-der-Ringe-Stars Viggo Mortensen, der ihn als Combots-Avatar auf den Desktops seiner Öffentlichkeitsarbeiter vertritt. Aber der Mann mit dem zumindest an diesem Nachmittag vollkommen papierlosen Schreibtisch weiß, was er will, und weiß das auch deutlich zu machen. Was immer andere über ihn denken oder sagen mögen, der notorische Schlipsverweigerer erklärt geduldig, warum er von seinen Combots überzeugt ist. Als Missionar in eigener Sache betet Greve ruhig seine schon oft rezitierten Argumente herunter: „Wir glauben, dass Kommunikation über das Internet emotionaler werden sollte. Die Technik muss für den Nutzer in den Hintergrund treten. Sie soll den Leuten nur ermöglichen, das zu machen, was sie machen wollen.“

MICHAEL, MATTHIAS UND BILL

Auch in Sachen Selbstbewusstsein braucht Greve keine Nachhilfe: „Wir sorgen dafür, dass es funktioniert. Wir haben einen höheren Sicherheitsstandard als die meisten Unternehmen in ihrer IT.“ Und irgendwie schafft es der Unternehmer, bei Freunden und Mitarbeitern unter dem comic-haften Spitznamen „Calvi“ bekannt, dass solche Behauptungen nie angeberisch klingen, sondern nach dem Brustton der Überzeugung: Ich weiß, dass ich recht habe, scheint er zwischen den Zeilen mitzuteilen, und wer das nicht begreift, ist selber schuld. Die üblichen Konventionen des Geschäftslebens – der Chef kann gerade nicht gestört werden, er hat Besuch – tangieren ihn nur peripher. Bibbert während einer Unterredung sein Handy, überlässt er den Gast kurzerhand seinem PR-Manager Oliver Schwartz, der gerade ohnehin souverän His Master’s Voice abspult, als sei er der Ghostwriter seines Chefs, und verschwindet wortlos aus seinem Designer-Büro. Ein Weilchen später kommt er leise zurück und steigt ohne überflüssigen Small Talk wieder ins Gespräch ein.

Hätte Greve nicht die vielen Millionen aus dem Verkauf des Web.de-Kerns im Rücken gehabt, wäre vielleicht auch ein Risikokapitalist als Finanzier für Combots eingesprungen. Denn der Studienabbrecher im Fach Elektrotechnik gilt, zusammen mit seinem jüngeren Bruder Matthias, nicht zu Unrecht als Ausnahmeerscheinung unter Deutschlands Unternehmern. Zwar mussten auch Web.de-Aktionäre nach dem Börsengang im Februar 2000 schnell und dauerhaft erhebliche Kurseinbußen hinnehmen. Aber das Unternehmen kam durch, und mit dem Verkauf seines Portalgeschäftes an United Internet im Herbst 2005 bewiesen die Greves, dass sie etwas geschaffen hatten, das dem Aufkäufer mehrere hundert Millionen Euro wert war. Diese Erfolgsgeschichte trug dem Älteren den Ruf eines weitsichtigen Vordenkers ein, der ein hervorragendes Gespür für Trends und Innovationen im Online-Geschäft hat. Als eine TV -Reporterin der Deutschen Welle um einen populären Vergleich rang, fiel ihr nichts Treffenderes ein als „der deutsche Bill Gates“.

Das war schmeichelhaft gemeint, aber Michael Greve selbst weiß am besten, dass der Vergleich hinten und vorn nicht auf ihn passt. Der deutsche Web-Pionier war nie so weit oben, dass er unter Monopolismusverdacht hätte geraten können; finanziell hat er ausgesorgt, doch von Gates’schen Reichtumsdimensionen ist er gut und gern zwei Zehnerpotenzen entfernt. Neben der Tatsache, dass beide Computer-Enthusiasten sind, die ihr Studium einer Firmengründung geopfert haben, verbindet ihn mit dem langjährigen Microsoft-Chef allerdings eine schwer erschütterliche Sturheit: Hatte Gates eine neue Idee, sparte er nie an Entwicklungsaufwand, und wenn sich ein Produkt oder Dienst nicht gleich gewinnbringend verkaufen ließ, warf er noch lange nicht die Flinte ins Korn. Bill G. kann sich solchen Luxus beliebig lang leisten, Michael G. zumindest eine halbe Ewigkeit.

ZUSCHAUER IM FALSCHEN FILM

Bis dato sind es drei Zeit- und Hunderte von Entwickler-Jahren, die Greve in sein einziges Produkt investiert hat. Geschlagene zwei Jahre vergingen allein, bis er auf der Bühne der Karlsruher Stadthalle vor 2000 geladenen Gästen den Schleier lüftete –und erst einmal einen bilderbuchmäßigen Fehlstart hinlegte. „Ich dachte, ich sitze im falschen Film“, erinnert sich eine Zuschauerin. Dabei war die Premierenshow im Juli 2006 so gründlich vorbereitet: Nach einem sehr amerikanischen PR-Video, das die gesamte bisherige Geschichte der Telekommunikation wie die Vorgeschichte des zu präsentierenden „revolutionären Kommunikationsdienstes“ aussehen ließ, nach einem audiovisuellen Spektakel mit Nebelschwaden, Hubschrauber-Surroundsound, Schritten aus dem Off, gruseligem Türenknarzen und irrlichternden Scheinwerfern mimte Greve nicht etwa Bill Gates, sondern so etwas wie den deutschen Steve Jobs. Hemdsärmelig und in abgewetzt aussehen sollenden Jeans wie der Apple-Boss, allerdings mit unüberhörbarem Lampenfieber, skizzierte er ein Horrorbild der technischen Kommunikation im Zeitalter vor Combots: überall Spam, Phishing, Viren, miese Usability – und Konfigurationsstress. „Ich hasse Handbücher“, sagte der Firmenchef und frühere Web.de-Technikvorstand und konnte sich ähnlich großer Zustimmung sicher sein, wie sie Jobs zu ernten pflegt.

Das Gefühl der Zuschauerin, im falschen Film zu sitzen, hatte freilich weniger zu tun mit Tiraden über unintuitive Technik, sondern mit dem verhüllten Wesen, das Greves Adlatus Frank Schüler dann auf die von Trockeneis vernebelte Bühne führte. Das kugelköpfige Etwas, das unter einem Laken in der Firmenfarbe Orange noch ausgesehen hatte wie R2D2 oder ein Smiley auf Beinen, entpuppte sich als junge Frau mit blonden Zöpfen und knallroten Kniestrümpfen, die aus ihrem blau-weiß-roten Kleinmädchendirndl herausgewachsen zu sein schien: Heidi. Als die Karikatur einer alpinen Kindfrau dem vom SWR ausgeliehenen Conferencier Markus Brock ins Ohr säuselte, sie werde ab sofort den Anwendern das Produkt Combots näherbringen, verstanden das manche Zuhörer – worauf die Häme in diversen Foren und Blogs hindeutet – wohl eher als Drohung.

„Damit hatte nun wirklich niemand gerechnet“, erzählt die Augenzeugin des Heidi-Events, die in der Karlsruher Hightech-Szene gut vernetzt ist. Das also sollte sie sein, die lange angekündigte Killerapplikation, mit der Combots zum „global erfolgreichsten Unternehmen für Personal Digital Communication“ werden will, wie Greve vorher mehrfach in Pressemitteilungen hatte verlauten lassen. Doch nicht nur angesichts der großen Worte im Vorfeld war die Software eine Enttäuschung: Obendrein schafften es weder die Teilnehmerin noch mancher andere Neugierige, sie überhaupt zum Laufen zu bringen, wie ein Blick in das Combots-Forum beweist. Mithilfe von Rückmeldungen hartnäckiger Tester gelang es den Technikern in der Folgezeit immerhin, die vielen Kinderkrankheiten wie den pathologisch hohen Speicherbedarf zu beseitigen. Die eigentliche Klientel aber – eben gerade die wenig technikbegeisterten Normal-Nutzer – bekam davon nichts mit, weil sie das Thema längst abgehakt hatte.

SCHLAFMITTEL STATT KILLERAPPLIKATION

Schlimmer noch: Die Nachricht, dass die vermeintliche Revolution nichts weiter als unausgereifter Kinderkram sei, verbreitete sich sowohl in der Technologieregion Karlsruhe als auch in der Blogosphäre. Combots hatte ausgerechnet die Multiplikatoren enttäuscht, die nach dem Konzept des viralen Marketings Aufmerksamkeit und jede Menge Nutzer für das Produkt hätten erzeugen sollen. Sechs Wochen nach der Erstvorstellung, zur IFA 2006, startete der öffentliche Betatest. Mutig kündigte Greve vorher an, sein Service werde auf der Messe „sicherlich im Rampenlicht eines Weltpublikums stehen“, hinterher schrieb er seinen Aktionären tapfer, die Start-Show und der Auftakt zum Betatest hätten „ein riesiges Medienecho“ gefunden. Als Beleg präsentierte er kurze Auszüge aus mittelgroßen Zeitungen, in denen man Anzeichen von Begeisterung allerdings vergeblich sucht.

Über Nutzerzahlen im Rahmen der erhofften „weltweiten Verbreitung“ schwieg sich das Unternehmen dann ein Jahr lang konsequent aus. Auch inoffiziell drang nichts nach außen – Greve hatte seinen zeitweise 100 eigenen F&E-Mitarbeitern eine strenge Schweigepflicht auferlegt, nicht einmal mit Kollegen anderer Abteilungen durften sie über Details ihrer Arbeit reden. In der Karlsruher IT-Szene machte sogar das Gerücht die Runde, die Combots-Angestellten müssten in ihrem Liebesleben Einschränkungen in Kauf nehmen: Lebenspartner von Angestellten anderer IT -Firmen gälten im Konzern als Sicherheitsrisiko. Laut Combots-Sprecher Oliver Schwartz ist an dieser „Unterstellung“ nichts dran. Doch Greves Ruf als notorischer Geheimniskrämer steht dem von Steve Jobs (siehe TR 08/07) kaum noch nach.

Was ihm dagegen seit einiger Zeit fehlt, ist der Erfolg. Und so ist Greve mittlerweile gravierenden Attacken ausgesetzt. In einem Antrag an die Hauptversammlung im Juli forderte der Frankfurter Anleger Christian Strenger, den Bilanzgewinn aus der Wertsteigerung der United-Internet-Aktien in voller Höhe an die Aktionäre auszuschütten und die Arbeit an Combots‘ Kerngeschäft und Greves Traum einfach aufzugeben: „Die Combots-Idee ist offenkundig gescheitert, Vorstand und Aufsichtsrat geben es nur noch nicht zu. Die angekündigte ,Killerapplikation‘ hat sich als Schlafmittel entpuppt.“ Insbesondere monierte Strenger, angesehener Ex-Banker und Mitglied der Regierungskommission Corporate Governance, die „infantilen“ Avatare, „die den Kundenkreis von vornherein auf die 8- bis 16-Jährigen“ limitierten. „Wenn der Vorstand seine aussichtslose Geschäftsidee weiter verfolgen will, soll er das mit eigenem Geld tun“, forderte Strenger.

Dem streitbaren Vorkämpfer für die Rechte der Minderheitsaktionäre war natürlich klar, dass sein Antrag nicht mehr als ein provokantes Statement sein konnte. Es sind ja gerade der Vorstandschef und sein Bruder, die am meisten Geld riskieren. Über ihre Holdingfirma Cinetic halten die Web.de-Gründer 56,26 Prozent der Combots-Aktien. Einen anderen Großaktionär, der Mitspracherechte reklamieren könnte, gibt es nicht. Auch aus dem Aufsichtsrat droht der Firmenspitze keine Gefahr: Das dreiköpfige Gremium besteht aus Greves langjährigem Steuerberater Hansjörg Reiter, seinem Vater Felix Greve, dem fast eine halbe Million Aktien gehören, sowie dem Software-Unternehmer Karl Schlagenhauf, der den Greves schon beim Aufbau von Web.de zur Seite stand. Wie Schlagenhauf Greves Chancen einschätzt, mit Combots doch noch Erfolg zu haben, dazu will er nichts sagen. Bei Anfragen verweist der Aufseher einsilbig auf Michael Greve: „Beim Vorstand sind Sie mit Ihren Fragen richtig.“

ZURÜCK ZUR INNOVATION

Ein paar Wochen nach der Hauptversammlung ist Christian Strengers Unmut zwar nicht verflogen, aber trotz der unausweichlichen Abstimmungsniederlage liegt eine gewisse Genugtuung in seiner Stimme: „Herr Greve hat das Büßerhemd angezogen und zugegeben: Das Ding fliegt so nicht.“ In Karlsruhe scheine sich der Realitätssinn eingestellt zu haben, den er zuvor vermisst habe. Jetzt will Strenger für eine bessere Informationspolitik kämpfen. Als er am 27. Juni seinen Antrag stellte, hatten Greve, Schüler & Co. nämlich selbst längst Kurskorrekturen in die Wege geleitet. Dass der bislang proprietäre Combots-Messenger nun mit den weit verbreiteten Chat-Programmen ICQ, AlM, Yahoo Messenger oder Google Talk kompatibel ist, erfuhr Strenger offiziell erst am 12. Juli aus einer Pressemitteilung. Die Fachpresse dagegen war schon vorher im Bilde, hatte die Information aber nur gegen schriftliche Zusicherung einer Sperrfrist erhalten. Auch mit seinem als Angriff verklausulierten Rat, statt kindischer Comicfiguren „erwachsenere“ Bildschirmsymbole anzubieten, mit denen ältere Zielgruppen etwas anfangen können, rannte Sprenger ohne es zu ahnen Türen ein, die kurz zuvor schon geöffnet worden waren.

Mit einem zähneknirschenden Eingeständnis auf der Hauptversammlung, dass er Fehler gemacht habe, hat Michael Greve die Opposition erst einmal besänftigt. Im laufenden dritten Quartal, verspricht er  jetzt, werde sich etwas tun, spätestens zur Funkausstellung soll Combots – wieder einmal – Furore machen. Und auf einmal drehen sich die Nachrichten wieder um eine technische Innovation, nicht um die Oberflächenkosmetik über unsichtbarer Technik. Eine Vorschau auf das, was in der Pipeline ist, gibt es seit Wochen: Der Combots Mobile Client, der für technische Laien eine Brücke zwischen Multimedia-Handys und PCs schlagen soll, liegt als Beta-Version für drei Nokia-Modelle zum Download im Netz. Versionen für andere Mobiltelefone soll es geben, wenn es mit den ersten dreien keine Probleme mehr gibt.

Möglich, dass damit die Zeiten überwunden sind, in denen Beobachter den Namen Combots am liebsten mit Begriffen wie „Fiasko“ oder „Nullnummer“ in Verbindung brachten. „Wer nicht mitmachen will, der soll doch seine Aktien verkaufen“, rät der Münchner Venture-Capital-Experte Rafael Laguna. Er sieht die Dinge positiv: „Die Greves sind A-Typen. Das sind Leute, die fürs Land Mehrwert generieren.“ Und die Chancen auf einen Erfolg seien allemal „höher als beim Roulette“, was man nicht von allen Technologie-Investments sagen könne.

GELD FÜR DIE NÄCHSTEN 15 JAHRE

Zumindest dürften Produktmanager Frank Schüler und sein Chef-Freund Greve verstanden haben, dass sie sich erneute Klagen über unausgereifte Software nicht leisten können. Womöglich werden sie sich jetzt auch dazu durchringen, die bornierten Freaks im eigenen Fan-Forum zu ignorieren, die mit ideologischem Eifer gegen die Idee agitieren, statt Comicfiguren und Spiralkugeln wahlweise schlicht Fotos der Kommunikationspartner zu verwenden. Damit wäre auch Chefkritiker Strenger einverstanden, der sich mit Greve in einem Punkt sogar grundsätzlich einig ist: dass Instant Messaging für Erwachsene einen interessanten Markt darstellt.

Unter externem Zeitdruck bei dessen Eroberung steht der Vorstandschef jedenfalls nicht: Bei der aktuellen  Geldverbrennungsrate, am besten erkennbar am Ergebnis vor Steuern und Zinsen von minus 8,2 Millionen Euro im letzten Quartal, würde das zu Ende Juni ausgewiesene Eigenkapital seiner Combots AG noch für 15 Jahre reichen.

Für Branchenbeobachter ist es ein Deja-vu-Erlebnis, denn diese Rechnung hatten sie schon einmal angestellt: nach dem Börsengang von Web.de; damals wäre das Geld nach sieben Jahren aufgezehrt gewesen. Auch versucht sich Greve nicht das erste Mal an einer Kommunikationsrevolution – schon als Technikvorstand von Web.de hatte er eine versprochen und dann nicht geliefert. Dass er diesen Misserfolg jetzt mit Combots wiederholt hat und immer noch nicht aufgibt, mag bei manchem Zweifel am Realitätssinn des bekennenden Fantasy-Fans  keimen lassen. Doch er wäre nicht der Erste, der eine Idee ungeachtet aller Fehlschläge doch noch zum Erfolg bringt – und anders als bei Web.de setzt er sich heute immerhin nicht mehr der Gefahr aus, sich mit der Ankündigung von  Milliardenumsätzen unglaubwürdig zu machen.

Das deutlichste Anzeichen für die eigene Lernfähigkeit lieferte Greve auf der diesjährigen Hauptversammlung: Wenn die Nutzerzahlen im laufenden Quartal nicht deutlich anstiegen, sagte er dort, schließe er auch eine „grundlegende Anpassung der Geschäftsstrategie nicht aus“. Schon bald wird sich also erweisen, ob Combots ein Kommunikationsdienstleister bleibt, den Aktionären doch eine Sonderausschüttung zukommen lässt – oder ob Greve vielleicht eine neue Geschäftsidee hat, die er mit seiner Erfahrung, seiner technischen Kompetenz und jeder Menge Geld zu verwirklichen versucht.

Was die Combots können

In den USA gibt es einen Wettbewerb, bei dem selbst gebaute Spielzeug-Androiden gegeneinander kämpfen, bis die Funken fliegen – die Combat Robots, kurz: Combots.

Auch in Deutschland gibt es seit Kurzem Combots, doch die sind friedliche Softies. Ihr Spitz- und Markenname steht für Communication Robots. Die Helferlein, die derzeit auf Windows-XP- und -Vista-PCs und einigen Java-fähigen Nokia-Smartphones funktionieren, kombinieren Instant Messaging mit einem Tool zur asynchronen Übertragung großer Dateien. Fotos oder Videos mit bis zu 100 Megabyte und komplette Ordner bis zu einem Gigabyte kann der Nutzer damit per Drag & Drop einem oder mehreren Freunden schicken, wenn die ebenfalls einen Combots-Account haben, oder an eigene Geräte übertragen. Das funktioniert auch, wenn der Empfänger gerade offline ist, denn die Daten werden auf dem Combots-Server zwischengespeichert, bis alle angegebenen Zielgeräte auf das Angebot zum Download oder zur Kontaktaufnahme reagiert haben.

Ein als Alleinstellungsmerkmal beworbenes Feature von Combots hat sich allerdings bislang eher als Instrument der Kundenabschreckung denn als Nutzermagnet erwiesen: die Darstellung aller Kommunikationspartner als „Characters“, also Comic-Figuren wie Garfield, Snoopy oder Tweetie, sowie der Assistentinnen-Avatar „Heidi“. Inzwischen kann man sich und seine Freunde und Kollegen zumindest durch sogenannte Business-Objekte wie Spiralkugeln darstellen lassen. Die Forderung einiger Nutzer, anstelle der Avatare auch Fotos der echten Person zuzulassen, wurde bislang nicht umgesetzt.

Auf Beschwerden, bei mehr als einem Dutzend Kontakten sei der Windows-Desktop vor lauter Characters nicht mehr benutzbar, hat Combots dagegen reagiert: Jetzt gibt es Ordner, in denen man Kollegen, Freunde und Verwandte zu Gruppen zusammenfassen kann. Außerdem ist Combots mittlerweile zu allen gängigen Chat-Programmen, ausgenommen Skype, kompatibel. Über die integrierte SIP-Software sind, wenn der Nutzer einen Vertrag mit einem Voice-over-IP-Telefonanbieter abgeschlossen hat, außerdem Internet-Telefonate möglich. Noch allerdings führt diese Funktion bisweilen zu Konflikten mit VoIP-Geräten à la Fritzbox Fon.

 

Wie Web.de zu Combots wurde

Der Begriff „Web“ hatte sich in Deutschland noch gar nicht als Synonym für die surfbaren Weiten des Internets durchgesetzt, da sicherten sich die Brüder Michael und Matthias Greve schon die Domain „web.de“. Unter der einprägsamen Adresse starteten sie im Jahr 1995 einen werbefinanzierten Wegweiser durch die deutschsprachigen Sites, ähnlich wie damals Yahoo in den USA. Ebenfalls wie Yahoo folgten die Greves dann dem Trend zum Webportal. Anfang 1999 lagerten die Brüder, die ihr damaliges Unternehmen Cinetic GmbH schon 1987 als 23-jähriger Studienabbrecher (Michael) und 20-jähriger Abiturient (Matthias) gegründet hatten, das Webgeschäft in eine Tochtergesellschaft aus. Als das Spin-off Web.de im Februar 2000 an die Börse ging, war die Aktie 20-fach überzeichnet. Beflügelt wurde die Fantasie der Anleger unter anderem durch den Einstieg des Unternehmens ins „Unified Messaging“, dos die technischen Grenzen zwischen E-Mail, Fax, SMS und Anrufbeantworter verschwinden  lassen sollte.

Nach dem Platzen der Aktienblase des Neuen Marktes im Jahr 2001 fiel Kritikern auf, dass Web.de das Geld der Anleger verbraucht, um der Kundschaft Gutes zu tun: Im Jahr des Börsengangs hatte die Greve-Firma jeden Euro Umsatz mit Kosten von 2,26 Euro erkauft. Die durchaus nützlichen Messaging-Dienste gab es zum Nulltarif, die Einnahmen aus der Werbung reichten aber bei Weitem nicht aus, die Kosten zu decken. Obwohl der Kurs der Aktie eingebrochen war, steckte der Vorstand Millionen in die Weiterentwicklung seiner Unified-Messaging-Software: Ab Oktober 2002 bot die neue Tochterfirma Web Telekom unter der Marke Com.Win einen web-basierten Kontaktmanager an, über den der Kunde per Mausklick beliebig viele Teilnehmer aus seinem Online-Adressbuch zu Telefonkonferenzen zusammenschalten kann; neben Verbindungsentgelten wurde eine monatliche Grundgebühr fällig. Doch die Kunden bissen nicht an – dabei hatten die Greves im Vorfeld noch angekündigt, das neue Produkt werde Web.de in die Liga der Umsatz-Milliardäre katapultieren. Vier Jahre und einige Versionen später wurde es ohne viel Aufhebens komplett vom Markt genommen.

Zu diesem Zeitpunkt gab es Web.de als Firma schon nicht mehr: Anders als die Bezahl-Software lief das Portalgeschäft zumindest hinsichtlich der Nutzerzahlen gut – rund 10,5 Millionen Besucher pro Monat ließen sich dort blicken. Das weckte das Interesse des Internet-Konzerns United Internet (UI). Für 200 Millionen Euro in bar und 5,8 Millionen eigene Aktien übernahm er im Herbst 2005 das Portalgeschäft. Das verschaffte Michael Greve, der bald zum Vorstandschef des Rest-Unternehmens wurde und es in Combots umbenannte, zum Übernahme-Stichtag ein Startkapital von insgesamt 354,28 Millionen Euro. Erklärtes Ziel der neuen Combots AG: die Entwicklung von Web-Telekommunikations-Produkten der nächsten Generation. Während diese erneut enttäuschten, ist allein das UI-Aktienpaket inzwischen rund 300 Millionen Euro wert – Combots bezeichnet es seit diesem Sommer als Teil einer „dualen Strategie“. 

Erschienen als Titelstory der Technology Review 9/2007

Sie sind der oder die 5475. Leser/in dieses Beitrags.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert