Zehn Thesen zur Zukunft der Massenmedien
Überarbeitete Fassung eines Vortrags der Reihe "Nextperts" am 7. Februar 2007 in München.
These 1: An miserablen journalistischen Leistungen besteht kein Mangel.
Waren die jahrzehntelangen Bemühungen um Professionalisierung für die Katz? Die Eloquenz mancher Schreiber ist reziprok proportional zu ihrer bescheidenen Kompetenz auf dem Gebiet ihrer Berichterstattung. Sie wissen, was der Rezipient gerne konsumiert, haben aber keine Ahnung, wovon sie reden – getreu der alten Devise: «Ein Journalist ist jemand, der anderen einleuchtend Dinge erklärt, die er selber nicht verstanden hat.» Sie zitieren zweifelhafte «Experten», ohne deren Motive zu kennen – und lassen sich naiv vor deren Karren spannen. So zu arbeiten geht nun einmal viel schneller, als sich selbst in eine komplexe Materie zu vertiefen. Bei anderen mangelt es an der Vermittlungskompetenz – sie blicken durch, bringen das aber nicht in einer genießbaren Form rüber. Das wirklich Deprimierende ist aber nicht, dass Journalisten zu oft objektiv schlechte Arbeit abliefern, sondern dass es zu viele Medienunternehmen gibt, die den für gute Arbeit nötigen Zeitaufwand einfach nicht honorieren.
These 2: Im Internet tummeln sich Experten aller Fachgebiete, die vielen Journalisten überlegen sind. Zumindest inhaltlich, oft auch sprachlich.
Wer sich auf einem Fachgebiet auskennt, kann heute leichter als je zuvor die Fehlleistungen der Medien öffentlich bloßstellen. Er ist nicht mehr auf die Bereitschaft einer Redaktion angewiesen, einen (meist drastisch gekürzten) Leserbrief abzudrucken, und kann versuchen, vernachlässigte Themen auf die Agenda zu bringen.
These 3: Die Wissensgesellschaft, die sich von den Medien emanzipiert, ist und bleibt eine Utopie intellektueller Optimisten.
Je mehr Anbieter von Informationen – oder Wissen – sich um die Aufmerksamkeit des Publikums bemühen, desto unübersichtlicher wird es für den Rezipienten. Das zeigt sich schon bei Thema Elektronischer Programmführer (EPG): Das Sortieren der Angebote von ein paar lächerlichen Hundert TV-Programmen ist alles andere als trivial. Umso schwieriger wird die Navigation im Output der gigantischen Vervielfältigungsmaschine namens Web.
These 4: Dass sich das Wissen der Menschheit exponentiell vermehrt, ist Quatsch. Was explosionsartig zunimmt, sind Worte.
Ist ein Thema einigermaßen populär, wird Google zum Indikator der mannigfachen Einfalt: Das immerselbe Zitat erscheint auf Dutzenden oder Hunderten von Websites.
These 5: Das Netz ist vollgestopft mit dem Output von Journalisten. Von echten Journalisten. Oder von PR-Journalisten.
Weil die Nachricht, als „Content“ verkleidet, zur billig reproduzierbaren Handelsware geworden ist, werfen Google & Co. seitenweise Elaborate der Nachrichtenagenturen aus – und weitaus mehr noch die von ihren Töchtern wie ots/news aktuell multiplizierten digitalen Waschzettel. Und alles, alles, was eh schon in viel zu vielen Kopien vorhanden ist, wird dann auch noch von Tausenden von Schlaumeiern und Kleinkrämern abgeschrieben, die sich einbilden, sie hätten etwas Interessantes entdeckt, das sie unbedingt den anderen Web-Insassen mitteilen müssten. Diese Eintönigkeit könnte immerhin eines bedeuten: dass Journalisten es eben doch besser verstehen, ein Thema interessant erscheinen zu lassen.
These 6: Die meisten Blogs funktionieren nur in einem intakten medialen Umfeld.
Auch wenn die meisten Blogger in ihrem Sendungsbewusstsein von der Relevanz ihrer Geistesblitze überzeugt sind: Das Gros des Gebloggten ist nichts Originäres, sondern bezieht sich auf Veröffentlichungen professioneller Medien. Die werden gelobt, getadelt, kommentiert – und sind so die Kristallisationskerne jener Informationswolken, die wir Blogosphäre nennen. Auch wenn manche Chefredakteure die Blogger immer noch als Parasiten empfinden: Es könnten sich auch Symbiosen entwickeln. Das wäre allemal besser als das, was beim Blatt mit den vier Buchstaben und einigen Regionalzeitungen unter dem Begriff „Leserreporter“ läuft.
These 7: Auch im seichten Wasser kann man ertrinken.
Der Überfluss an belanglosen Informationspfützen ist durchaus gefährlich für die Gesellschaft. Wer sich erst einmal im Slalom zwischen den unzähligen Tümpeln befindet, die alle mit dem gleichen Einheitsbrei gefüllt sind, verliert leicht den Horizont aus den Augen und damit den Ozean des Wissens, auf dem es eigentlich zu navigieren gilt. Also bedarf es der Leuchttürme und der Lotsen. Sie müssen zeigen, dass dort hinten doch noch mehr liegt, mit dem zu befassen sich lohnt.
These 8: Journalisten müssen im Internet zu Hause sein – UND das Leben draußen kennen.
Ein Paralleluniversum wie das Web verführt dazu, es für das richtige Leben zu halten. Es bedarf einer profunden Ausbildung, zu erkennen, welchen Informationen man trauen darf – im Prinzip ist das die Grundqualifikation des Journalisten. Die Existenzberechtigung des Berufs ergibt sich künftig daraus, den Rezipienten kompetent und zuverlässig den Weg zu den relevanten und seriösen Informationsquellen zu weisen, und den Kontext zum wahren Leben herzustellen.
These 9: Der Rezipient kann stärker partizipieren – wenn er will. Der Journalist ist sein Diener.
Früher waren die Redaktionen für die meisten Menschen die einzige Schnittstelle zu Informationen, von als Fußnote angehängten Literaturtipps einmal abgesehen. Heute muss der Journalist der Info-Dienstleister sein, der zweierlei Anforderungen zu erfüllen hat: – Für denjenigen, der sich schnell einen Überblick verschaffen möchte, muss er die relevante Information, die es zu einem Thema gibt, in einer Art Management Summary verdichten. – Denjenigen, die tiefer einsteigen wollen, muss er den Zugang zu den online verfügbaren Quellen zeigen, auch wenn er fürs Fernsehen oder für Print arbeitet. Diese Verlinkung müsste auch die Hauptfunktion der Online-Seiten der traditionellen Medienhäuser sein. Der Aktualitätswahn, geboren aus einer Advertising-getriebenen Rivalität zwischen Onlinemedien und klassischen Medien, ist kontraproduktiv, weil keine Zeit für Recherche und sorgfältiges Schreiben bleibt – sprich: für Qualität.
These 10: Massenmedien bleiben, gute Medienmarken haben ein Zukunft.
Verlagsprofis sprechen gerne von Medienmarken, die für Qualitätscontent stehen. Leider verwechseln manche dieser Manager Journalismus mit Convenience Food. Wenn es gelingt, Medienmarken über den Distributionsweg hinweg als Synonym für kompetenten und gut konsumierbaren Journalismus (also unterhaltsam geschriebene und zugleich informative Texte) zu etablieren, braucht den Journalisten nicht bange zu sein um die Zukunft der Massenmedien. Kein Mensch wird sich zu jedem aktuellen Thema gezielt auf die Suche nach den besten online verfügbaren Informationen begeben. Dies wird er nur tun, wenn es um seine „Special Interests“ geht, seien sie beruflicher Natur oder seien es private Hobbies. Das universelle Informationsbedürfnis können nur klassische Redaktionen befriedigen, die als Gatekeeper eine Vorauswahl aus den aktuellen Nachrichten treffen und sie zielgruppenspezifisch aggregieren und aufbereiten. Auf welchem Transportweg die Nachrichten dann zum Rezipienten gelangen, ist sekundär. Meine persönliche Prognose: Der Beruf des Holzfällers wird so rasch nicht aussterben. P.S.: Es gibt eine Gefahr für die Massenmedien, und die kommt von innen. Es sind Verlagsmanager, die mehr ins Branding investieren als in die Redaktionen.
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Dazu schrieb das Nachhaltigkeitsblog…