Pure Lust am Nuklear-Leben

Bill Gates will unseren Lebensstandard retten – mit dem Mini-AKW vor der Haustür.

Sagt Ihnen „Geier Sturzflug“ noch etwas? Richtig, die Band, die in den 1980er-Jahren mit dem Titel Bruttosozialprodukt auf der Neuen Deutschen Welle surfte. Der beste Song der Kohlenpottbarden hieß Die pure Lust am Leben und enthielt eine großzügige Offerte an Produzenten CO2-freier Energie: „Und wenn es wirklich nötig ist, dann will ich nicht so sein: Dann lagert noch Plutonium in meinem Keller a-ha-hein!“

Wenn es nach Bill Gates geht, dem Chefruheständler von Microsoft und finanzstarken Philanthropen, dürften die verantwortungsbewussten Manager aus der Strombranche eher früher als später auf dieses freundliche Angebot zurückkommen. Okay, so ganz wörtlich ist das mit dem privaten Castorbehälter im Duisburger Keller vielleicht nicht zu nehmen. Aber viel fehlt wirklich nicht. Die wahrhaft unterirdische Idee, von der Klimaretter Gates und sein Freund und Mitstreiter Nathan Myhrvold schwärmen: Statt scheinbar ausgelaugtes Alt-Uran in Gorleben, im Zentralmassiv oder im Yucca Mountain zu verstecken, sollen künftig allüberall, wo Menschen wohnen, viele kleine Löcher ins Erdreich gegraben werden. In denen verbuddelt man dann klitzekleine Nuklearmeiler: voll funktionstüchtige Bonsai-AKW, die das letzte Quäntchen Energie rausquetschen aus garantiert waffenuntauglichen Kernbrennstoffresten, die einen gestandenen Großreaktor à la Biblis völlig kalt ließen. Die Zukunft der Öko-Energie ist demnach das BBHKKW – das Bürgernahe Blockheizkernkraftwerk, das bis zu 20.000 Einwohner jahrelang vollautomatisch mit Strahlungsfernwärme und Strom versorgt, ohne Wartung, Wachmannschaft und Landschaftsverschandelung – zum Spottpreis von 25 Millionen Dollar.

Keine Angst, entwarnen die Experten, die dieses und ähnliche Konzepte für die 1., 2. und 3. Welt propagieren. Für einen klassischen Super-GAU seien die heißen Zwerge viel zu klein. Der größte bei ihnen anzunehmende Unfall verstrahle allenfalls einen Landkreis. Aber eigentlich seien die Dinger – entfernte Verwandte der Atomantriebe militärischer U-Boote – ja so bombensicher konstruiert, dass gar nie nix passieren kann. Darum nennen sie die Brutkästchen gern auch Nuklearbatterien. Wenn die nach sieben Jahren oder womöglich gar mehreren Jahrzehnten ausgepowert sind, kommt der Servicewagen vorbei, packt die gesamte Anlage als atomares Leergut auf den Tieflader und lässt ein frisch befülltes Exemplar in die Grube hinunter. Deckel zu, weiter geht’s.

Ist ja an sich nicht neu, die Idee: Schon der Ford-Konzern hat vor 50 Jahren die Straßenkreuzer-Studien Nucleon und Seattle-ite mit Atombatterie für 5000 Meilen Reichweite entworfen. Dummerweise hätte das Gewicht des Bleimantels die Automobile zu Immobilien gemacht. Doch bei einem vergrabenen „BBHKKW“ stellt sich dieses Problem ja nicht. Und was sind schon lächerliche 4000 atomrechtliche Baugenehmigungen, die nötig wären, um Deutschland auf diese Weise mit Energie zu versorgen, gegen die Aussicht, dass uns Krümmel & Co. sonst 60 Jahre lang erhalten bleiben?

Das Finanzielle sollte kein Hindernis sein. Wer die ganze Welt allein mit Wind und Sonne versorgen will, sagt Stanford-Professor Mark Jacobson, muss 100 Billionen Dollar investieren. Dagegen wären gute acht Billionen für 350.000 Mini-AKW doch ein Schnäppchen.

Das einzige Häkchen ist der Atommüll, vom dem leider auch die Mikromeiler ein bisschen ausbrüten. Aber wenn’s mit Gorleben nix wird: In Duisburg sind bestimmt noch ein paar Kohlenkeller frei.

 

ULF J. FROITZHEIM (51) hat sich seinen alten Button aus Studententagen wieder angesteckt: „ATOMKRAFT? AU JA!“ – mit grinsendem Totenkopf.

Aus der Technology Review 5/2010, Kolumne FROITZELEIEN

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