Als „Journalismus-Börse“ stellt sich neuerdings ein Web-Portal der Deutschen Post dar, das unter der Marke „Die Redaktion“ firmiert.
Vergleichbare Textportale hat es schon viele gegeben, viele sind verschwunden, ein paar fristen ein Dasein in der Nähe der Bedeutungslosigkeit.
Neu an diesem Angebot ist, dass ein Konzern der Betreiber ist und als Partner ein Großverlag (Axel Springer AG) sowie ein Berufsverband (DJV) mit im Boot sitzen.
Viele Kollegen fragen schon lange, warum es keine vernünftige Textvermarktungsplattform gibt. Manche glauben, das Post-Portal könnte das endlich sein. Im Jonet habe ich mal aufgedröselt, warum ich gar nicht so begeistert bin.
5.3.2011
Vor über zehn Jahren haben wir uns im Fachausschuss Freie darüber schon den Kopf zerbrochen, haben Versuche genau beobachtet, Online-Plattformen zur Textvermarktung auf die Beine zu stellen. Das gab es damals schon.
Die Gründe, weshalb das nie ins Rollen kam und alle damaligen Anbieter wieder aufgegeben haben, gelten noch heute. Keine Redaktion baut so eine Art von Textbeschaffung in ihre Geschäftsprozesse ein. Warum sollte sie auch? Wer Lücken zwischen den Anzeigen kostengünstig füllen will, hat genug PR-Material gratis zur Verfügung, das er mühelos und schnell umschreiben kann (Firmennamen ausdünnen und gemischt statt versal schreiben, „nach Angaben des Unternehmens“ einfügen etc.).
Wer Ansprüche stellt, hat in diesen Portalen kaum eine Chance, zu finden, was er sucht. Die meisten Texte sind gut abgehangen, haben aber keinen Aufhänger. Ich behaupte: Es gibt jenseits der aktuellen DPA-Nachricht und einiger weniger Service-Rubriken keinen guten Universal-Text, der unverändert in beliebige Medien passt. Jedes Blatt hat seinen Stil und sein eigenes Layout, das wiederum die Textlänge bestimmt. Im Portal schreibt der Autor so lang, wie er will, also polemisch gesagt: in 100 Prozent aller Fälle zu lang.
Vielleicht hilft das Portal, einen Autor zu finden, der sich im Thema auskennt und schreiben kann. Dann aber sollte es als Marketingschaufenster konzipiert sein – und nicht als Verkaufsplattform.
Das Absurde an diesen Konzepten ist ja auch die Preisfindung. Jeder Zeitungs- und Zeitschriftenverlag hat seine Standard-Zeilen- und Seitenhonorare, von denen die Redakteure nur nach Absprache mit Vorgesetzten in begründeten Ausnahmefällen abweichen dürfen.
In Portalen gibt es zwei davon abweichende Modelle: Entweder der Autor legt den Preis selbst fest oder es gibt einen undifferenzierten Pauschaltarif, bei dem der Portalbetreiber iTunes-mäßig alles über einen Kamm schert. Dann haben weder Käufer noch Verkäufer mitzureden.
Die nächste Hürde ist das Inkasso über den Portalbetreiber. So etwas ist in den Geschäftsprozessen der Verlage nicht vorgesehen. Da gibt es Rahmenverträge mit Agenturen und daneben die Autorenverwaltung mit entweder pauschalen oder individuell vereinbarten Sätzen. Dass unter dem Text der Name eines Autors steht und dafür (de facto) eine Agentur ihren Fixpreis abbucht, ist ein drittes Modell, das bisher nicht vorkommt und eingespielte Abläufe durcheinanderbringt.
Außerdem sind die Verlage daran gewohnt, dass sich die Freien ihren AGB unterwerfen. Wenn ich bestimmte Passagen nicht akzeptiere, kann ich das zwar mit der/m Chefredakteur/in aushandeln, wenn sie/er Interesse an meiner Mitarbeit hat. Ausgangsbasis ist aber immer der Standardtext des Verlags. Die Portale haben eigene AGB, die allein den Interessen des Portalbetreibers dienen. Sie richten sich quasi gegen den Autor und gegen den Verlag. Also müssen sie genau gelesen werden. Eine Redaktion, die solche Verträge schließt, macht zwangsläufig den Verlagskaufleuten und Hausjuristen Arbeit (und damit sich unbeliebt), denn so etwas fällt in deren Kompetenz.
Kurzum: Ein Redakteur, der im Portal einkauft, erzwingt Abweichungen von der Routine und verursacht zusätzlichen Bürokratieaufwand, für den er sich vor seinem Arbeitgeber rechtfertigen muss. Er produziert bereits beim ersten Einkauf Overheadkosten, die sich allenfalls rechnen, wenn regelmäßig in dem Portal gekauft wird.
Beim Erstkontakt müsste der Content also total exklusiv und zugleich total wichtig sein, damit der Verlag den Aufwand schluckt (der ja die Einsparung im Honorarbudget mehr als auffrisst). Diese Kriterien treffen auf zweit- und drittvermarktete Texte schlicht nicht zu.
Springer macht bei „Die Redaktion“ als Content-Anbieter mit. Dass Springer-Medien das Angebot auch als Kunden nutzen werden, glaube ich erst, wenn ich’s sehe.
Dass die Annahme freier Journalisten naiv ist, sie fänden hier einen zusätzlichen Vertriebskanal, ergibt sich übrigens aus einem weiteren Grund: Der potenzielle Käufer geht davon aus, dass es eine Zweit- oder Drittnutzung ist. Dann will er aber wissen, wo (oder ob überhaupt) es schon eine Erstveröffentlichung gab. Gab es sie, will er wissen, wie billig der Autor den Text hergegeben hast; war es z.B. die Landshuter Zeitung, dämmert ihm, dass er als Zweitnutzer mehr bezahlen soll als der Erstnutzer – und fühlt sich verschaukelt. Gab es sie nicht, geht er davon aus, dass er unverkäufliche Texte kaufen soll. Warum sollte er sie lesen?
4.3.2011
Die Post schreibt…
„ausschließlich Journalisten amtlich anerkannter Fachverbände“
…seien an Bord. Wer fällt denn darauf rein? Erstens gibt es ja gar keine „amtliche“ Anerkennung (mehr). Zweitens: Wenn man überlegt, wer so alles in unseren Verbänden Mitglied ist und wie man da Mitglied wird, kann man über die Idee wirklich nur den Kopf schütteln, dass daran irgendwie die Qualifikation ablesbar sein soll. Der DJV kann ja niemandem, der hauptberuflich journalistisch tätig ist, die Mitgliedschaft verweigern, nur weil er verquastes Zeug schreibt. Solange es Arbeit- oder Auftraggeber gibt, die seine Texte drucken, darf er rein. Seltsam ist auch, da es ja um Texte geht und nicht um Fotos: Freelens-Presseausweise werden akzeptiert, solche vom BDZV nicht.
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Fragen wir mal „cui bono?“: Warum macht die Post das überhaupt, außer wegen Provisionen? Sie will damit – wie sich unschwer den AGB entnehmen lässt – ihre Authentifizierungsdienstleistungen Postident und E-Post sowie ihren Factoringdienst DPZ promoten. Wenn man Multiplikatoren für diese Services sucht, ist es ja nicht dumm, die Medien zu Nutzern zu machen.
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Für mich bedenklich ist, dass die Verlage wohl mehr Interesse an Content Syndication haben als am Einkaufen. Auf der einen Seite kämpft der DJV gegen Full-Buyout-Verträge, wie ja auch Springer sie schon vorgelegt hat, auf der anderen Seite setzen wir uns mit denen, die unseren Markt auf unsere Kosten schmälern, in ein Boot? Das passt für mich nicht zusammen.
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Was sowohl berufs- als auch medienpolitisch und auch kaufmännisch unser Ziel sein müsste, ist die Produktion von inhaltlicher Vielfalt – und nicht das Verstopfen aller Kanäle durch immergleichen, x-fach verwerteten Content. Jeder kennt Google-Trefferlisten, in denen identische Passagen zwölfmal auftauchen.
Mehrfachvermarktung als Geschäftsmodell passte in die Zeit, als es Hunderte Offline-Zeitungen gab, die sich auf ihre Region beschränkten.
Heute macht es Texte zur Commodity, zum austauschbaren Füllgut, Content eben. Wertschöpfung erreichen wir damit nicht. Die schaffen wir nur durch Exklusivität.
Sprich: Wenn wir Qualität für 61,97 Euro ins Schaufenster stellen, in der wahrscheinlich irrigen Hoffnung, dass mindestens 20 Käufer zugreifen, verzichten wir freiwillig darauf, uns dem Wert unserer Leistung entsprechend zu positionieren. Statt uns rar, attraktiv, begehrenswert zu machen, drängen wir uns als Hausierer auf. Das gibt uns auf der wirtschaftlichen Abwärtsspirale keinen Halt, sondern nur noch mehr Schwung.
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Autoren brauchen eine Symbiose mit Verlagen, die gute (exklusive) Texte als USP sehen. Ein Medium, das austauschbare Texte veröffentlicht, ist selbst austauschbar.
Geld für guten Journalismus wäre da, es ist nur falsch verteilt. Allein Springer hat voriges Jahr eine halbe Milliarde Euro verdient. In deren Bilanz wird „Die Redaktion“ nur ein Rundungsfehler sein. Was die da vermarkten, ist aber unsere geistige Leistung.
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Okay, sagt mir, beweist mir, dass ich mich irre! Ich lasse mich gerne eines Besseren belehren. Aber dazu will ich Fakten sehen.
Nachtrag: Die Freischreiber diskutieren das Thema auch.
Sie sind der oder die 9171. Leser/in dieses Beitrags.
Hardy Prothmann hatte seinerzeit auch darüber gebloggt:
http://www.pushthebutton.de/2011/03/08/warum-dieredaktion-de-eine-blode-idee-ist/
„Technische Redaktion“ – das Schreiben und Übersetzen von Bedienungsanleitungen – ist durchaus eien Alternative zum Zeilenschinden.
Man muß dann aber sehr technisch begabt sein und sich auch nicht davor grausen, nach journalistischem Stil „langweilig“ zu schreiben, wenn es nicht um Konsumerelektronik, sondern z.B. Roboter geht.
Und nein, das Geld nachgeworfen bekommt man da auch nicht.
Ist aber eine Alternative für den, der den Journalismus dick hat und mit PR ein Problem.
„ob die Zukunft der Journalisten darin bestehen sollte, Bedienungsanleitungen zu übersetzen.“
Wenn man außer „Ruhm“ (= Neidern, Stalkern und kein Geld) im Journalismus nichts mehr bekommen kann, darf es sicher auch mal ein Beruf ohne „Image“ sein, wo dafür aber wirklich etwas bezahlt wird. Oder kannst Du Dir vorstellen, Miele würde sagen „nein, dafür können wir Ihnen leider nichts zahlen, Sie wissen ja, die Krise, aber Sie haben die Ehre, unsere Bedienungsanleitung geschrieben zu haben und so weitere (ebenfalls unbezahlte) Aufträge bei anderen Firmen zu erhalten“?
Du hast schon recht, was das Geldverdienen angeht. Aber es ist halt die Zukunft (respektive Gegenwart) von irgendwas, aber eben nicht die des Journalismus. Es darf ja nicht sein, dass am Ende die Käufer hochwertiger Waschmaschinen unsere eigentliche Arbeit subventionieren.
Der Journalismus hat leider in der Form von etwas, das einen ernähren kann, keine Zukunft mehr. Dazu sägen zuviele dran, wollen ihn zu Fall bringen.
Wer dennoch weiter journalistisch schreiben will und nicht hauptberuflich Sohn/Tochter ist, wird sich einen anderen Hauptjob suchen müssen.
Bei einem Handwerker käme niemand auf die Idee, daß der gratis nur für den guten Ruf arbeiten soll. Bei unsereins erwarten es immer mehr, nicht nur die Verleger.
Bezahlung ist in der Marktwirtschaft eine Frage von Angebot und Nachfrage. Das Angebot steigt immer mehr, die Nachfrage sinkt. Das Rennen ist gelaufen.
Ob man dann nun sich das journalistische Hobby mit Herbalife-MLM (ja, ich kenne solche Kollegen), Autoreparatur, PR oder Technischer Redaktion verdient, ist egal. Aber TR liegt fachlich zumindest noch nahe.
Achja, jetzt kann auch ich „bezahlt“ stempeln, der Postbote hat auch hier ein Päckchen den Berg hochgeschleppt.
Hallo, ich habe Ihren Artikel gelesen u. stimme Ihnen zu. Daß Springer mitmacht wußte ich bisher gar nicht, finde es aber bezeichnend, da Springer ja aus so ziemlich allem Geld macht…warum dann nicht auch aus „die Redaktion“?
Die Post im gleichen Boot gibt dem ganzen nochmal so richtig die „Loser-Note“ finden Sie nicht?
Immerhin steht die Post nicht gerade als Erfolgsmodell im Verdacht.
Aus eigener Erfahrung kann ich nur sagen, freie Journalisten im Zeitschriften Business erleben tagtäglich was es heißt mit flotten Sprüchen abgelehnt zu werden.
Da ist der Text entweder gerade nicht passend, zu lang, zu teuer, zu was weiß ich nicht alles. Gründe gibt es genug. Und sei es nur, daß dem entsprechenden Redakteur vielleicht die betreffende Person, die im Text vorkommt, nicht genehm ist.
Wer heutzutage als freier Journalist Geld verdienen will braucht Vitamin B oder muß einfach Glück haben, Talent immer vorausgesetzt.
Das Internet hat zweifellos viele Vorteile. Aber genauso viele Nachteile für freie Journalisten.
Allein schon aufgrund der Tatsache, daß ein einmal veröffentlichter Text mit großer Wahrscheinlichkeit irgendwann im Internet auftauchen dürfte u. somit ein Zweitdruck in weite Ferne rückt.
Stellt sich die Frage, „willste freier Journalist sein, oder richtig Geld verdienen? Beides geht nämlich nicht…“
Nachtrag
Neulich sagte mir jemand von berufener Stelle doch tatsächlich, man könne als Fachjournalist sogar ‚zig Tausend Euro für die Übersetzung einer Bedienungsanleitung bekommen, ja, auch solche Honorare seien „drin“.
Dazu kann ich nur sagen, wo lebt der Mann?
Ich meine, wie oft wird der Betreffende eine Bedienungsanleitung im Jahr zur Übersetzung bekommen?
Die Zeiten, wo man auf jemanden gewartet hat, sind doch wohl vorbei, oder?
Warum sollte es ausgerechnet auf diesem Sektor anders sein als bei allen anderen?
Wenn es je die Zeiten gab, als Zeitschriften-Redaktionen in nennenswertem Umfang fertige Texte von Freien gekauft haben, sind die jedenfalls längst vorbei. Alle Redaktionen, mit denen ich bisher zusammengearbeitet habe, kaufen nicht, sie vergeben Aufträge – geschrieben wird erst, wenn der Auftrag vorliegt, und das normalerweise exklusiv.
Was Bedienungsanleitungen angeht: Diese berufene Stelle kann so berufen nicht sein. Die Industrie wirft das Geld nicht so zum Fenster raus.
Hallo Ulf, wenn Sie wüßten WER das von der berufenen Stelle war, es würde Sie auf der Stelle vom Hocker hauen. Nur soviel, eine Person des DJV von ganz oben.
Daran können Sie erkennen wie weit die von der Basis entfernt sind beim DJV.
Vertrauliche Hinweise nehme ich gerne per Privatmail entgegen. Wobei ich die betreffende Person einfach nur gerne mal fragen würde, ob die Zukunft der Journalisten darin bestehen sollte, Bedienungsanleitungen zu übersetzen.
niemand muss mitmach, aber die Hauptberuflichkeit ist schon Voraussetzung. Gut so. Wir mit unseren 300 Mitgliedern können da allein wenig bewegen.
Wer sind denn „wir“, Willi? Die Freischreiber?
Das mit der Hauptberuflichkeit ist ja nur ein Aspekt (abgesehen davon, dass ein hauptberuflicher Fotograf oder PR-Mensch Texte einstellen kann). Es geht ja vor allem darum, dass Großverlage als Content-Vermarkter dabei sind und damit die Eckdaten setzen. Wer gegen Full-Buyout-Verträge ist, macht sich unglaubwürdig, wenn er bei einem Portal mitmacht, das dem Anschein nach von so etwas lebt.