Nicht ohne einen Cent

Am Handy hängt, zum Handy drängt doch alles. Nur zum Geldbeutel-Ersatz will es partout nicht werden.

Es gibt eine Drogeriemarkt-Kette, die ist den Euro nicht wert, denn sie ehrt den Cent nicht. Die Läden, deren Name an unsere frühere Währung erinnert, ignorieren sogar die Zwei-Cent-Münze. Sämtliche Preise enden deshalb nicht – wie es sich anständigerweise gehört – auf eine Neun, sondern auf eine alberne Fünf. Dahinter steckt schiere Faulheit: Über die Jahre sparen Kassiererinnen Tage und Kunden Stunden, weil das Münzenzählen reduziert wird.

Die Deutsche Bundesbank findet diese schnöde Rationalisiererdenke wohl auch noch toll. Sie verteuert jedenfalls jetzt die Münzrollen dermaßen, dass Aldi, Edeka und Lidl künftig für jeden Cent Wechselgeld, den sie sich liefern lassen, drei Cent bezahlen müssen. Damit drohen uns Centfuchsern in Sachen Zahlungskultur Zustände wie in Finnland oder der Schweiz. In diesen an sich schönen Ländern regieren schon lange Banausen, die meinen, mit kleinerer Münze als einem Fünfer – ob Cent oder Räppli – müsse einem nun wirklich niemand herausgeben.

Wie die Computermesse CeBIT unlängst zeigte, gibt es aber einen Schimmer der Hoffnung, sowohl für uns Kleinstgeld-Romantiker als auch für die Preisgestalter der Supermärkte, die gewiss in tiefste Depression versänken, müssten sie auf ihre geliebten Schwellenpreise mit den obligatorischen

Neunen am Ende verzichten. Womöglich würde gar die Konjunktur einbrechen. Oder würden Sie freiwillig etwas kaufen, das einfach glatte 5,00 Euro kostet? Eben.

Die möglichen Retter nahen in Gestalt der Mobilfunkkonzerne, die gerade den 76. Anlauf starten, das Handy zum universellen Zahlungsmittel zu machen. Nur leider kapieren sie immer noch nicht ganz, was wir Verbraucher uns wirklich wünschen. An der Supermarktkasse sollen wir einfach unser Mobiltelefon an einen Funkscanner halten, schon wird der Zahlbetrag abgebucht. Okay, bisher hat kein Mensch auf diese Weise bezahlen wollen – bei Rewe nicht und auch nicht bei der Bahn: Wenn sich der Sänger Max Raabe einen Reim auf die Akzeptanz der blau-roten „Touchpoint“-Lesegeräte machen sollte, mit denen die Deutsche Bahn seit 2007 ihren Kunden das ticketlose Reisen per Handy-Zahlung näherbringen will, schallte wohl bald ein neuer Klingelton über die Bahnsteige: „Kein Schwein hält mich dran.“

Die Idee, das Geld durch eine digitale Kopie zu ersetzen, ist ja an sich nicht doof. An uns Konsumenten soll’s nicht liegen. Rund um den Globus kaufen wir mobile Endgeräte wie bekloppt, anderthalb Milliarden Stück in einem Jahr, da kommen einige potenzielle Anwender zusammen. Allein am richtigen Gefühl hapert es noch ein wenig: Unserem inneren Onkel Dagobert macht das digitale Zahlen einfach keinen Spaß. Warum? Weil sich die Bezahlsoftware auf dem Touchpad als schnöde Kreditkarte verkleidet. Warum gönnt man uns keine virtuellen Münzen, die wir beim Einkauflustvoll unter polyphonem Geklimper in die Registrierkasse prasseln lassen können? Haben T-Mobile und Vodafone Angst, als elektronische Falschmünzer Stress mit der Bundesbank zu kriegen?

Dann ist jetzt wohl deren junger neuer Chef Jens Weidmann am Zug. Wenn er den unbezahlbaren echten Cent schon mit der Gebührenkeule totschlagen muss, sollte er ihn wenigstens als billigen digitalen Cent 2.0 wiederaufleben lassen. Tut er’s nicht, retten wir Konsumenten unsere Kleingeld-Kultur wie weiland Oma mit den Pfennigen: Wir horten unsere Glücks-Cents in der Blechbüchse. Und wenn sie voll ist, bringen wir sie dem netten Kassierer in der Bank – zum Zählen.

ULF J. FROITZHEIM (52) wird gern mit dem Handy bezahlen, wenn dabei auch seine Kundenkarten virtualisiert werden – damit er sie nicht dauernd vorzeigen muss.

TECHNOLOGY REVIEW | APRIL 2011

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