Lieber Martin Balle, lieber Herr Professor Dr. Juniorverleger!

Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer gelungenen Berufswahl – wenn Sie mir die literarische Freiheit gestatten, „Sohn“ als Profession zu werten. In die Fußstapfen Ihres werten Herrn Vaters zu treten, der im Verlag der Landshuter Zeitung und des Straubinger Tagblatts seinerseits seinem Schwiegervater nachgefolgt war, dürfte ein weiser Ratschluss gewesen sein. Wie sonst wären Sie je in die Lage gekommen, nach Herzenslust und Laune in der Zeitung schwadronieren, ja unredigiert Texte absondern zu dürfen, die Ihnen – wären Sie normalsterblicher Journalist geworden – jeder halbwegs professionelle Jungredakteur links und rechts um die immergrünen Löffel gehauen hätte?
Die Gnade der Geburt als Spross der richtigen Familie hat Sie einst vor dem herben Schicksal bewahrt, Ihre publizistische Ambition als freier Mitarbeiter im Reich des alten Balle, des als „Bayerischer Sparlöwe“ berühmt gewordenen Großverlegers, testen zu müssen, ergo als junger Mensch für geschätzte 17,8 Pfennige pro Druckzeile aus den Niederungen des niederbayerischen Vereinslebens Ihrer niederbayerischen Heimat Niederbayern Bericht zu erstatten, bevor Ihnen bei guter Führung eventuell ein Volontariat, ein Pauschalistenposten und irgendwann eine Redakteursplanstelle gewährt geworden wäre.
Dankbar, wie Sie dem Herrn sowie Ihrem Alten Herrn sind, kam Ihnen eines Tages in den Sinn, die Leser-Blatt-Bindung mittels feinsinniger, in jeglicher Hinsicht offener Briefe an bayerische Persönlichkeiten zu stärken (und gleichzeitig das Honorarbudget Ihrer Redaktion um stolze 100 Zeilen zu entlasten). Jeder Leser, jede Leserin des Straubinger Tagblatts und der Landshuter Zeitung sollte sich schadenfroh ergötzen dürfen an Ihrer so phantasievollen wie monologischen, nun ja, Korrespondenz mit Menschen, die auf Ihre Bekanntschaft vermutlich nicht ungern verzichtet hätten und auf Ihre eigenwilligen An-die-Leser-Briefe allemal.
Nehmen wir den ST-Rezipienten, JU-Veteranen und gebürtigen Straubinger Bernd Sibler (37), dessen Berufung zum Staatssekretär im Kultusministerium Sie für einen „Aprilscherz“ gehalten haben wollen, obwohl ein Blick in den Kalender Ihnen verraten hätte, dass es längst Oktober war. Möglicherweise könnte man sich darauf einigen, dass der christsoziale Aufsteiger wirklich (noch) kein Weltstaatsmann ist, über den eine respektable deutsche oder auch bayerische Tageszeitung viele Worte verlieren müsste, es sei denn, er träte öfter als bisher mit klugen Gedanken aus dem ministeriellen Schatten hervor. Ihnen aber war der vormalige „Stadionsprecher mit Nebenjob im Bayerischen Landtag“ eine satte vierspaltige Kolumne wert, deren hauptsächlicher Reiz für den Leser darin bestand, dass am Ende gar nicht der vermeintlich Derbleckte wie ein Depp da stand, sondern – mit Verlaub – der Autor der Brief-förmigen Kolumne, nämlich Sie.
Damit die knapp 10.000 Mitleser dieses Briefes an Sie verstehen, wovon ich schreibe, hier ein exemplarischer Auszug ballejuniorscher Holperprosa: „Dass Sie weit mehr Macht und Einfluss haben als andere Stadionsprecher, das fiel mir immer wieder auf. Oft begegneten wir wichtigen Personen der Zeitgeschichte. In der Regel machten Sie mich dann darauf aufmerksam, dass Sie denen zu ihrem Amt verholfen hätten.“ Mit einer knackigen Pointe nach diesem vergeigten Anlauf hätten Sie die Kurve vielleicht noch gekriegt.
Statt dessen zeilenschinderten (oder heißt es „zeilenschunden“?) Sie weiter mit dem sprachlichen und logischen Feingefühl eines Kreisligafestredners: „Schulamtsleiter, leitende Finanzbeamte, Krankenhausdirektoren, Flughafenkonstrukteure, Hochseeschiffskapitäne, dem Dalai Lama, der Witwe von John F. Kennedy.“ Falls Sie damit Staatssekretär Sibler als Reinkarnation von Lee Harvey Oswald karikieren wollten, hätten Sie das schon ein wenig deutlicher sagen können!
Auch wenn Sie, lieber Herr Professor Dr. Balle, im Fachbereich Medientechnik der Fachhochschule Deggendorf Vorlesungen über Darstellungsformen im Fach Journalismus halten dürfen, welches sie selbst nie studiert haben; auch wenn Sie mit den Studiosi medienethische Fragestellungen diskutieren und Exkursionen zu Ihrem Straubinger Tagblatt unternehmen: In einer Zeitung, die nicht im Besitz Ihrer Familie ist, wäre jener Text im Papierkorb gelandet. Und zwar nicht aus Mitleid mit dem armen Herrn Sibler oder aus Angst vor juristischen Konsequenzen, die solch ein textliches Elaborat nur adeln würden. Sondern aus Verantwortung der Redaktion gegenüber dem Autor, der sich im Falle eines Abdrucks für eine Spontanverbannung in den trostlosesten Landstrich des Verbreitungsgebiets Isar-Donau-Wald qualifiziert hätte. Dass niemand Sie gebremst hat bei Ihrem Generalangriff auf die eigene Reputation, lässt zwei Interpretationen zu: Entweder hat sich niemand getraut. Oder Sie waren vollständig beratungsresistent.
So war es an Mitgliedern der CSU-Prominenz, Sie in jene Verlegenheit zu bringen, die Ihnen in der folgenden Woche Anlass zum beherzten Kopfsprung ins nächste Fettnäpfchen gab. „Ich hatte niemals die Absicht Ihnen zu schreiben“, schrieben Sie in einer dadaistischen Volte an Siblers Staatssekretärskollegen Markus Sackmann, dem Sie in einem Postskriptum ebendiesen Brief angedroht hatten, „mein Hinweis, dass ich auch Ihnen schreiben wollte, war nur ein kleiner literarischer Einfall.“ Somit ist ein Kulturbanause, wer Ihnen jetzt nachsagen würde, Sie hätten sich in den folgenden Absätzen um Kopf und Kragen fabuliert. „Die Menschen, an die ich schreibe, verwandeln sich mir unter der Hand in Figuren, die – so scheint es – mit ihrer eigenen Wirklichkeit plötzlich nur noch zum Teil zu tun haben…“
Die Höflichkeit gegenüber meinen Lesern gebietet es mir, nicht noch mehr Beispiele Ihres Geschwurbels wiederzugeben, dieser grotesken Mixtur aus halbherziger Verunglimpfung und hasenfüßigem Sichherauswinden aus dem gesellschaftlichen Abseits, in das Sie sich selbst manövriert haben. Es bleibt Ihren natürlich unbenommen, weiter in Ihrer literarischen Welt zu leben, die Sie sich so ausmalen, wie Sie sie sich vorstellen. (Oh Verzeihung, jetzt habe ich doch schon wieder Balle zitiert!) Hauptsache, Sie verwechseln diese Balletristik nie wieder mit Journalismus.

Mit einem herzlichen Vergeltsgott für die weise publizistische Selbstbeschränkung, die Sie sich seither auferlegt haben, verbleibe ich

Ihr Ulf J. Froitzheim
Diplom-Journalist und Kolumnist

P.S.: Wer sich die Original-Kolumnen partout in voller Länge antun möchte, findet sie im kostenpflichtigen Online-Archiv von idowa.de, Suchbegriffe „Sibler“ und „Sackmann“.

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Soweit meine Persiflage auf Martin Balles Kolumnen aus dem Herbst 2008. Da die Originaltexte leider nicht mehr abrufbar sind, erlaube ich mir im Folgenden zwecks besseren Textverständnisses ausnahmsweise eine Vollzitation.   UJF, Juni 2014

Balle Sibler

Balle Sackmann

Lieber Bernd Sibler, lieber Herr Staatssekretär!

Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer, Beförderung! Es ist also doch wahr. Am Anfang dachten wir alle noch eher an einen Aprilscherz. Aber jetzt ist alles amtlich und steht schwarz auf weiß in den Zeitungen dieser Welt: Sie, Bernd Sibler, sind Staatssekretär!

Ich kann mich noch gut an unser erstes Zusammentreffen vor zehn Jahren erinnern: Sie waren damals Stadionsprecher bei einem Plattlinger Fußballverein. Gerade war allerdings deren Vereinsheim abgebrannt. Nach einer Trikotspende unserer Zeitung, weil buchstäblich alles verbrannt war, kam ich nicht umhin, auch noch das nachfolgende Fußballspiel anzuschauen. Das Spiel war eher mittelmäßig. Außergewöhnlich war nur Ihre hochdynamische Begleitung dieses mittelmäßigen Spiels durch die verrosteten Stadionmikrophone. Offensichtlich blitzte dort Ihr rhetorisches Talent auf.
Nach dem Spiel lernen wir uns dann kennen. Sie wurden mir als Stadionsprecher vorgestellt – im Nebenberuf freilich Landtagsabgeordneter. Sie waren so jung, dass ich beides kaum glauben konnte. Ich kenne Stadionsprecher. Die sind sonst immer eher etwas verlebt. Häufig sieht man ihnen an, dass sie die letzte Nacht wieder nicht zu Hause waren. Bei lhnen war das merklich anders: Sie standen schon so blitzblank geputzt in der frischen Herbstsonne, dass mir gleich klar war, dass auf Sie eine politische Karriere wartet. Auch weil Sie eben schon damals diesen Nebenjob im Bayerischen Landtag hatten. Die anderen Stadionsprecher haben in der Regel keine Nebenjobs, jedenfalls keine, die man in eimer seriösen Zeitung ansprechen wollte.
Wir sind uns dann immer wieder begegnet. Dass Sie weit mehr Macht und Einfluss haben als andere Stadionsprecher, das fiel mir immer wieder auf. Oft begegneten wir wichtigen Personen der Zeitgeschichte. In der Regel machten Sie mich dann darauf aufmerksam, dass Sie denen zu ihrem Amt verholfen hätten. Bauamtsleiter, leitende Finanzbeamte, Krankenhausdirektoren, Flughafenkonstrukteure, Hochseeschiffskapitäne, dem Dalai Lama, der Witwe von John F. Kennedy. „Mei, dem hob‘ I damals a g’holfn, dass a werd, was a is“, pflegten Sie dann in aller Zurückhaltung und großer Vertraulichkeit zu mir zu sagen.
Nur am Anfang war ich überrascht, wie weit Ihr Einfluss reichte. Manchmal freilich, wenn ich schlecht einschlafen konnte, überlegte auch ich mir, ob auch ich Ihnen meinen Posten zu verdanken hatte. Ich schlief dann schlecht, träumte unruhig, erwachte am Morgen wie gerädert. Nur die ersten Sonnenstrahlen und ein versichernder Blick auf mein verstaubendes Studienzeugnis in einer lange nicht mehr geöffneten Schublade klärten mir meine Situation einigermaßen.
Einmal sind wir uns auf einem Podium zur Situation der Bildung in Bayern begegnet. Ich kann mich noch gut erinnern. Als ich beklagte, dass die jungen Menschen heute kaum mehr Goethe und Schiller, geschweige denn Hölderlin kennten, erwiderten Sie, dass das auch gar nicht mehr so wichtig sei. Wichtig seien vielmehr neue Kommunikationsformen wie E-Mail oder SMS per Handy. Textanalyse einer Botschaft also wie: „Hallo Schatz, bin schon da; wo bist Du?“ Da wurde mir schnell klar, dass Sie jetzt zum innersten Zirkel der CSU-Fraktion im Landtag gehören, zu den Intellektuellen gleichsam. Ich dachte mir zudem, dass Sie wahrscheinlich sogar für das G 8 verantwortlich sind. Geht es nicht auf eine Idee von Ihnen zurück? Sicher, die Entschlackung der Lehrpläne von überflüssigem Bildungsmüll war längst überfällig. So wurde mir klar: Sie werden entweder Staatssekretär im Umwelt- oder sogar im Kultusministerium.
Ich bin heute übrigens der Meinung, dass Sie sogar der heimliche Minister sind. Denn das tapfere Schneiderlein ist ja eher Volksschullehrer, Sie aber durften sogar einmal am Gymnasium unterrichten! Und das noch an einem, das Sie zu dem gemacht haben, was es heute ist, das Sie also gleichsam selbst verursacht haben.
Ich weiß ehrlich gesagt nicht genau, was Staatssekretäre überhaupt tun. Mein Bild vom Leben und Arbeiten eines Staatssekretärs stammt aus der Fernsehserie „Monaco Franze“. Dort kommt ein Staatssekretär vor, der allerdings gar nichts arbeitet, sondern immer nur versucht die Frau vom „Monaco“, das „Spatzl“, zu verführen. Im richtigen Leben kenne ich zwar flüchtig einen Staatssekretär aus einem anderen Ministerium, der genauso aussieht wie der aus dem Film und sich auch genauso verhält, aber ich weiß nie, ob der’s ernst meint oder nur die Figur aus dem Film imitiert.
Und deshalb wünsche ich Ihnen, dass Sie Ihren Weg erfolgreich weitergehen auf den sicheren Schneisen, die Ihnen die CSU jetzt in Ihre Zukunft schlägt.

 

Mit fast untertänigem Gruß

Ihr Professor Dr. Martin Balle,
Verleger und Herausgeber

 

P.S. Den Brief an den Kollegen Sackmann schreibe ich dann nächste Woche.

 

 

Lieber Markus Sackmann, lieber Herr Staatssekretär!

 

Ich bin in einer Verlegenheit. Ich habe letzte Woche an gleicher Stelle einen Brief an Ihren Kollegen Bemd Sibler geschrieben. In einem Postscriptum hahe ich etwas gedankenverloren hinzugefügt, dass ich diese Woche auch Ihnen schreiben würde. Um die Wahrheit zu sagen: Ich hatte niemals die Absicht, Ihnen zu schreiben. Mein Hinweis, dass ich auch Ihren schreiben wollte, war nur ein kleiner literarischer Einfall. Eine Erfindung sozusagen – ohne ernsthafte Absicht.
Mein Brief an Ihren Kollegen Bernd Sibler allerdings ist – weitgehend ohne mein
Zutun – offensichtlich einer größeren Anzahl von Lesern zugänglich gemacht worden. Die fordern jetzt von mir einen zweiten Brief. Diesmal an Sie. Ich aber weigere mich standhaft, Ihnen morgen zu schreiben.
Schon mein letzter Brief an Ihren Kollegen hat mich in eine ernsthafte Verlegenheit gebracht. Meine Briefe sind allesamt eher literarische Entwürfe.
Die Menschen, an die ich schreibe, verwandeln sich mir unter der Hand in Figuren, die – so scheint es – mit ihrer eigenen Wirklichkeit plötzlich nur noch zum Teil zu tun haben. Unangenehm für mich freilich wird es immer dann, wenn mir die wirklichen Personen in nächster Zeit auch noch wirklich begegnen. Oder mir selbst einen Brief schreiben. Oder mich sogar anrufen. So rief mich diese Woche Ihr ehemaliger Fraktionsvorsitzender Alois Glück an und rügte mich deutlich für meinen Brief an Bernd Sibler.
Weil ich Alois Glück doch schätze und es draußen auch noch regnete, war mein Tag war mein Tag insgesamt recht verdorben. Und dass der echte Alois Glück angerufen hatte und nicht ein von mir auf brieflichem Weg erfundener, das verschärfte meine Situation abermals. Auch mein Hinweis, dass eine Glosse letztlich ein literarischer Text sei, der von einer gewissen Ironie lebe, wurde von Alois Glück mit dem Hinweis gekontert, dass am Ende echte Menschen solche Ironie ausbaden müssten.
Deshalb habe ich entschieden, Ihnen morgen nicht zu schreiben.
Das hat auch für mich Vorteile. Denn weil viele Leser den Unterschied zwischen Realität und Erfindung so allzu genau unterscheiden wollen, habe ich mit meinen fiktiven Entwürfen oft die größten Schwierigkeiten. So schrieb mir jetzt ebenfalls der richtige Bemd Sibler und nicht der von mir brieflich erfundene, dass seine Zeit als Stadionsprecher der Spielvereinigung Plattling deutlich vor seinem ersten Landtagsmandat liege. Und auch das mit Goethe und Schiller verhalte sich doch wenigstens etwas anders, als ich das brieflich erinnerte.
Und deshalb schreibe ich Ihnen morgen nicht: Weil ich nicht möchte, dass sich meine Vorstellung von der Welt und die Welt, wie sich sich selber sieht, immer mehr entzweiten. Es gibt einen wunderbaren Satz des Schriftstellers Martin Walser in seinem Roman „Halbzeit“. Er fühle sich wie Don Quijote, nachdem er las, was Cervantes über ihn schrieb.
Ich persönlich möchte lieber weiter in meiner literarischen Welt leben.
Eine Welt, die ich mir so ausmale, wie ich sie mir vorstelle. Und ich möchte nicht weiter darauf hingewiesen werden, dass die Welt sich anders verhält oder sich wenigstens anders sieht. Nicht von Cervantes, nicht von Ihrem Kollegen Bernd Sibler und eben auch nicht von lhnen.

Und deshalb schreibe ich Ihnen morgen also nicht
und grüße Sie hiermit herziich.

 

Ihr Professor Dr. Martin Balle
Verleger und Herausgeber

Der Ratte langer Schwanz

Die Probleme mit Internet-Fernsehen lehren: Nicht jede globale Minderheit wird gemeinsam stark.

Die Sonnenseite der Globalisierung trägt einen Namen, der nicht so appetitlich klingt: „Long Tail“, der Lange Schwanz. Gemeint sind die flachen Seitenausläufer der Gauß’schen Normalverteilung. In der kompakten Mitte ballen sich billige Futtersäcke für Milliarden Fliegen, die nicht irren können, also Welthits, Blockbuster, Bestseller. Am Rand geht es scheinbar endlos weiter mit Raritäten, die sich kein kluger Offline-Kaufmann ins Lager legen würde. Dank Ebay und Google aber finden Kleinstproduzenten weltweit Kunden, und Leute mit obskurem Geschmack passende Ware.

Das funktioniert prima bei allem, was einen googlebaren Namen hat: bei Sammlerstücken, Büchern, Musik, Videos. Bei all den Projekten aber, die nach diesem Prinzip jetzt das Fernsehen umkrempeln wollen, beißt sich die Katze in den langen Schwanz. Dass Joost, Zattoo, Babelgum & Co. irgendwann 50.000 Internet-TV-Kanäle anbieten, mag ja technisch möglich sein. Diese Kanäle voll zu kriegen, nicht. Nicht einmal der Groß-Spartensender DSF sendet rund um die Uhr Sport – denn gutes Material ist teuer. Und gäbe es auch nur die 500 Programme, die uns die Everythingon-Demand-Euphoriker einst in Aussicht stellten, würden 90 Prozent davon im (sub-)promillären Einschaltquoten-Orkus dahinvegetieren. Hinter der Kanal-Inflation verbirgt sich deshalb ein Etikettenschwindel: Ein „Channel“ bei Joost ist nichts weiter als eine Endlosschleife, in die man an beliebiger Stelle einsteigen kann. Bis man auf Stop klickt, plätschern Serienfolgen und andere Konserven aus der DSL-Strippe.

Auch die Bildqualität ist bisher grenzwertig, weil Peer-to-Peer-Technik und Streaming nur zusammen gehen, wenn der Nächste, der gerade das Gleiche sehen will, nicht fern ist. Das ist so ziemlich das Gegenteil von Long Tail – und der Grund dafür, dass die Server von Joost und Zattoo im Widerspruch zur reinen P2P-Lehre doch viel Arbeit haben. Noch kniffliger als die technischen Fragen aber sind die nach den Senderechten: Die Möchtegern-TV-Revolutionäre müssen für jedes Land Verträge mit den Lizenzgebern schließen – oder dessen Einwohner anhand der IP-Adresse aussperren.

Die IT-Cracks, die Fernsehen neu erfinden wollten, haben wohl nicht geahnt, was da für ein Rattenschwanz dran hängt.

Aus der Technology Review 9/2007, Kolumne FROITZELEIEN

Potemkin im Mediendorf

Als dieser Beitrag in der November-Ausgabe des Journalist erschien, war er schon nicht mehr aktuell. Still und leise hatten die Gründer des DFJV e.V. dessen Ende und die Gründung einer gleichnamigen Aktiengesellschaft eingefädelt. Trotz seiner Obsoleszenz bezüglich des eigentlichen Themas stelle ich den Text zu dokumentarischen Zwecken unter seinem ursprünglichen Erscheinungsdatum in die Zeitreihe meiner Wortpresse. Interessant daran ist bis heute das Meta-Thema: dass auch bekannte Persönlichkeiten der Medienbranche sich manchmal von Potemkinschen Fassaden und Köpenicker Uniformen blenden lassen.

Die Namen der Akteure habe ich grundsätzlich abgekürzt (wer sie kennen will, kennt sie inzwischen eh, sie stehen auch anderswo in diesem Blog). Bewusst ausgenommen davon sind die A-Prominenten, jene Personen der Zeitgeschichte, die sich vor den PR-Karren des DFJV spannen ließen.

„ETWAS MIT MEDIEN“ ZU MACHEN IST EIN BELIEBTES MOTIV; AUSBILDUNG, FACHKONGRESSE UND PREISVERGABEN SIND EIN MAGNET. EINIGE JUNGE BERLINER HABEN EINEN VEREIN GEGRÜNDET – UND ZEIGEN, WIE LEICHT ES IST, MIT EINER GESCHICKT GESTALTETEN FASSADE UND BEDIENTER EITELKEIT HOCHKARÄTIGE MEDIENPROFIS ZU GEWINNEN.

Selbst die fähigsten Fachjournalisten des Landes hatten nicht den Hauch einer Chance gegen die (künftige Ex-) Queen des Polit-Talks, ja: Sie kamen nicht einmal in die engere Wahl. Auf dem Deutschen Fachjournalisten-Kongress 2006 in Berlin erhielt Sabine Christiansen im September den „Deutschen Fachjournalistenpreis“. Von dessen Existenz hatte die Fachwelt erst wenige Wochen zuvor erfahren. Vielleicht hätten sich einige der angeblich fast 7.000 Mitglieder des Deutschen Fachjournalisten-Verbandes (DFJV) gerne beworben. Aber eine Ausschreibung gab es nicht.

Der vom DFJV-Führungszirkel vergebene Preis taucht nicht einmal in der „wohl umfassendsten Sammlung von Medien- und Journalistenpreisen“ auf, die der DFJV selbst ins Internet gestellt hat. Warum auch: Auf der Service-Seite stehen nur Wettbewerbe, bei denen es für die Sieger wirklich etwas zu holen gibt. Ein Preis, der mit warmen Worten plus Acrylglas-Trophäe dotiert ist, passt da nicht recht hinein. Auch wenn es der eigene ist.

Die Preisträgerin hat also nicht viel vom Deutschen Fachjournalistenpreis. Die um Prominenz bemühten Veranstalter dafür umso mehr. Denn die Geehrte erschien in der Tat persönlich im Hotel Estrel, um sich die Laudatio anzuhören. Die wurde von einer der wenigen Journalistinnen gehalten, die im Bundestag sitzen: Julia Klöckner, Winzertochter, ehemalige Religionslehrerin, Chefredakteurin des Verbandsblattes der Deutschen Sommelier-Union und Vorzeigefrau der rheinland-pfälzischen CDU. An bekannten Persönlichkeiten mangelte es auch auf den Kongress-Podien nicht: Matthias Prinz war da, Bodo Hombach, Christoph Keese, Kurt Weichler, Thomas Leif.

Welcher Organisation sie da die Ehre gaben, ahnten nicht viele der Ehrengäste oder der zahlenden Teilnehmer. „Potemkin im Mediendorf“ weiterlesen

Diskusfisch und Presseausweis

DFJ e.V.: Eine Viechtacher Verlegerfamilie und ihr seltsamer Verein

Aus dem BJVreport 5/2006

Von Dirk Eikhorst und Ulf J. Froitzheim

Eine Online-Bildagentur, ein Verein für Kindersicherheit, ein Fischfutterversand, ein Special-Interest-Verlag und ein Verein, der Mitgliedern von Fotoclubs einen „bundeseinheitlichen“ Presseausweis anbietet: Der Serviermeister Bernd Degen und seine Familie sind vielseitig und einfallsreich. Der Mann glaubt sogar, der offizielle Presseausweis sei ein Plagiat des seinigen. Eine Posse aus dem Bayerischen Wald.

Vielleicht hängt es ja damit zusammen, dass Jan Ullrich hoch bezahlter ARD-Mitwirkender war, jedenfalls blinkt auf der Website von procycling, „Europas großem Profi-Rennrad-Magazin“, ein Werbebanner mit der signalroten Aufforderung: „Beantragen Sie Ihren Presseausweis – DFJ“. Weshalb ausgerechnet Berufsradler sich als Reporter ausweisen können sollten, wird in dem Kontext nicht so recht klar. Schon eher nachvollziehbar ist, dass einem die Reklame des DFJ, des eingetragenen Vereins „Deutsche Foto-Journalisten“, auch im newsroom des Salzburger Verlegers Johann Oberauer (Medium Magazin) begegnet.

„Diskusfisch und Presseausweis“ weiterlesen

Wie korrupt sind wir?

Wird das Brot knapp, macht der Sänger Kompromisse. Er stimmt Lieder an, die er in guten Zeiten nicht über die Lippen gebracht hätte. Der Volksmund straft ihn dafür mit Verachtung: Wer ertappt wird, dass er des Brot isst, wes Lied er singt, der ist unten durch, ist als korrumpiert entlarvt und damit bestenfalls irrelevant. Aber ist es wirklich so simpel? Ist der Journalist, der in der Unternehmenskommunikation einen Markt entdeckt, ein gewissenloses Mietmaul? Welche Alternativen hätte er überhaupt? Sind nicht Medienunternehmen viel schlimmer, die in der Wirtschaftsflaute ihre freien Mitarbeiter ebenso wie ihre ethischen Prinzipien über Bord werfen? Der Konsens über die journalistische Berufsmoral gerät ins Wanken. Dabei sind auch die alten Fragen nach wie vor aktuell: Verführt die Nähe zu den Wichtigen und Mächtigen zu verzerrter Wahrnehmung? Ist, wie manche meinen, schon die Frage nach einem Presserabatt verwerfliche Anbiederung, oder kommt es auf die Umstände an? In einer Zeit, in der einzelne Kollegen und ganze Medien – nur bedingt freiwillig – zu Grenzgängern werden, muss sich der Journalismus der Frage stellen: Wie korrupt sind wir?

 

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Die Übergänge zwischen Programm und Reklame weichen auf

Ein deutscher Autohersteller präsentiert den Nachfolger eines umsatzträchtigen Modells. Das gibt für mehrere Ressorts etwas her: Lokalreporter berichten über gesicherte Arbeitsplätze, Börsenredakteure kommentieren die Auswirkungen auf den Aktienkurs, Fachjournalisten rezensieren die Fahrleistungen. Beim aktuellen Fünfer aus München kam etwas Neues hinzu. Zwölf Fernsehrninuten Nonstop-Jubel-BMW-TV bekamen die Zuschauer von Sat.1 und Prosieben serviert – von einer Journalistin, der Bild-Firstlady Katja Kessler.

Inszeniert war das Opus wie ein Yellow-Bericht von einem gesellschaftlichen Ereignis – vom Glamourfaktor her nicht direkt Oscar-Verleihung, eher Bayerischer Fernsehpreis. So weit, so zweifelhaft. Nun handelte es sich um eine Dauerwerbesendung, und dieses Genre ist nach den Landes-Mediengesetzen an sich legal, ebenso wie es nicht strafbar ist, Journalisten vor den Karren der Werbung zu spannen: Darf Günther Jauch bei RTL und SKL seine Krombacher Geld-Quelle sprudeln lassen, kann Kessler bei der konkurrierenden Senderfamilie weißblaue Karossen öffentlich toll finden.

Zum Eklat kam es dennoch. Die Manager des zu dieser Zeit noch zur Kirchschen Konkursmasse gehörenden TV-Konzerns Prosiebensateinsmedia AG hatten sich von ihrem Kunden überreden lassen, statt des unansehnlich amtsdeutschen Schriftzugs „Dauerwerbesendung“ das trendig-adrette Kunstwort „Infomercial“ einzublenden, einen Terminus technicus, der den durchschnittlichen deutschen Zuschauer kaum verschrecken dürfte.

Premiere eines gewollten Missverständnisses

„Mit dieser Premiere“, klärte die FAZ ihre Leser auf, „spekuliert der Autohersteller offenbar darauf, daß sie vom Publikum im weitesten Sinne als redaktioneller Beitrag mißverstanden wird.“ Da die Chefs der Landesmedienanstalten solche Missverständnisse in ihrem Hoheitsbereich nicht sehr schätzen, schritten sie ein: Anfang September sollen die Medienräte in Berlin und Mainz entscheiden, wie der Fauxpas geahndet wird; sie dürfen ein Bußgeld verhängen, den unrechtmäßig erzielten Umsatz einziehen und/oder die Ausstrahlung einer Rüge erzwingen.

Dass ein Fall von versuchter Zuschauertäuschung derartige Wellen schlägt, ist selten. Vergleichbare – und schlimmere – Unsitten sind alltäglich, die Aufregung darüber hält sich in Grenzen. Knapp 15 Prozent des Werbeumsatzes auf dem deutschen Fernsehmarkt entfielen auf Sonderwerbeformen, verriet Andrea Malgara, Marketingdirektor beim TV-Vermarkter Seven One Media, im Juni auf den Nürnberger Lokalrundfunktagen. Bei Lokal-TV-Sendern seien es eher 40 Prozent, hat Bianca Bauer-Stadler von der Neuen Welle Bayern recherchiert.

Gewinnspiele, werbliche Unterhaltungsformate, Infomercials oder Sponsoring – dieses Repertoire nicht-konventioneller Reklame durchdringt längst auch die Programme öffentlich-rechtlicher Sender. Da kooperiert die Hörfunkwelle SWR3 ganz un-heimlich mit Daimler Chrysler und dem Hockenheimring, oder sie verdingt sich zum Wohle der Musikwirtschaft als Konzertveranstalter mit eigenem reichweitenstarken PR-Radio, das seine Großevents bis hinein in die Verkehrsansagen und Wetterberichte pusht. Monatelang machten sich L’tur und Lufthansa als Finanziers der Gewinnspielchen „Elch & weg“ und „Expedition Elch“ im Programm breit; die Gewinner mussten sich hernach von den Moderatoren ausfragen lassen – Nichtigkeiten auf dem Niveau von Big-Brother-Interviews. Die gnadenlos ulkige Frühsendung heißt Morningshow (sic!), wird von dem moderierenden Kleinkünstler-Duo Wirbitzky & Zeus zelebriert wie eine perfide Realsatire auf den traditionellen, belehrenden Hörfunk-Journalismus (,,Alles, was Sie heute morgen wissen müssen, von Bertram Quadt“) und besetzt das Branchenvokabular mit ganz neuen Bedeutungen: Ist es heiß, verteilen „Reporter“ der Anstalt kostenlos Nestle-Eis an Passanten und „berichten“ darüber.

Montag gerettet, Programmauftrag kaputt

Als Gratis-Gelatieri locken auch Bayern 3-Redakteure ihre Fans aus dem Häuschen. Dem notorisch hallodrigen Gastwirt Alfons Schuhbeck bieten sie breiten Raum fürs Selbstmarketing (seine Promi-Kollegen Eckart Witzigmann, Paula Bosch und Gerhard Meir haben dafür das SZ Magazin). Da wird der Wortdrechsler Willi Astor als Dauergast ins Programm gehoben, nachdem er monatelang die B3-Hörer ungefragt dorthin geschickt hatte, „wo das Möbel haust“ – worüber sich wiederum ein Friedberger Sofa-Filialist ähnlich freut wie Hans Riegel jr. in Bonn, wenn Gottschalk bei „Wetten dass?“ den Gästen Goldbärchen aufdrängt. Und bei Ottis Schlachthof warten die Zuschauer regelrecht darauf, dass der Gastgeber seine Moderation mit „mehr sog i ned“ beschließt oder sich endlich ein Brathiendl ((Anspielung auf den damaligen Möbelhänder Hiendl, der jetzt XXXLutz heißt; Anm. ujf)) bestellt.

Den Wettbewerb mit den Privaten trägt Bayern 3 gerne über Gewinnspiele wie „Lebenslänglich“ aus, von denen sich die Sponsoren wohl nicht ganz ohne Grund mehr Aufmerksamkeit versprechen als von gewöhnlichen Spots. Und wenn bei den Kaltenberger Ritterfestspielen des Brau-Prinzen Luitpold die Bayern 3-Plaudertasche Roman Röll alias Merlin den Gaststar gibt, fragt sich kaum noch jemand, warum im redaktionellen Wortanteil so viel über des Kollegen Nebenjob geredet wird, stets unter pflichtschuldigster Erwähnung der Wittelsbacher Biermarke Kaltenberg.

Was Seiner Königlichen Hoheit recht ist, finden Bayerns Handwerker Händler billig: Nur zu gern lassen sie sich von den Montagsrettern mit den zwei linken Händen bei der Arbeit behindern. Hauptsache, sie kommen brettlbreit und garantiert positiv ins Radio, gar lustig wird’s alleweil. Selbst wer offensichtliche Marketing-Gegengeschäfte eines Brauherrn und Bayernprinzen mit den Pflichten eines gebührenfinanzierten Senders für unvereinbar hält, kommt bei den Montagsrettern ins Grübeln. Nicht das Geringste deutet daraufhin, dass hier gekungelt, geschoben oder geschummelt wird. Jeder bayerische Betrieb kann sich übers Web bewerben. Wer gewinnt, ist für einen Montag Mittelpunkt seiner kleinen Welt: der Bootsverleiher in Gößweinstein und der Metzger in Lenggries, die Mitarbeiter der Deutschen Bahn oder der BP-Tankstelle in Wolnzach ebenso wie der Betreiber einer Kartbahn in Ampfing. Der gute BR … er verschenkt ein paar Stunden PR!

Freiwillige, kostenlose Öffentlichkeitsarbeit, für wen auch immer, gehört zwar nicht zum Programmauftrag der ARD-Anstalten. Klassische Kriterien für Korruption greifen jedoch auch nicht – dazu würde Vorteilsnahme gehören. Die Montagsretter sind einfach nur nett zu den Menschen. Um Bestechung geht es trotzdem: Die sympathischen jungen Leute von B3 bestechen die Hörer – mit Eiskrem in blau und grün, den Hausfarben ihrer Welle; mit frisch gebackenen Roman-Röll-chen; mit montäglicher Gratis-PR. So schließt sich der Kreis doch noch: Die Nettigkeiten sorgen fUr Quote, gute Quoten sichern Werbeerlöse – und siehe da, kommerzielle Interessen rangieren vor journalistischen. Gehört zu werden wird zum Selbstzweck, der Inhalt zur Nebensache. Man lässt sich korrumpieren vom Applaus: Das Gewissen bleibt rein, denn das Publikum scheint zufrieden. Welche Gefahr in diesem Trend zum leicht konsumierbaren, anspruchsarmen Weichspüler-Content liegt, wird bisher vor allem auf Fachtagungen debattiert.

„Dass der Volontär in eine publizistische Welt hineinschreibt, die das Wort von der integrierten Kommunikation erfunden hat“, treibt beispielsweise den Düsseldorfer Medien-Fachjournalisten und Dozenten Fritz Wolf um. „Die vornehm technokratische Sprachform lässt ja kaum erkennen, was sie bezeichnet“, tadelte Wolf kurz vor Weihnachten 2002 auf dem Institutstag des Bildungszentrums Haus Busch, „dass nämlich die Grenzen zwischen Journalismus und product placement, zwischen Kommunikation und Konsumtion, absichtsvoll verwischt werden.“ Die Attacke galt dem Holtzbrinck-Manager Michael Grabner, von dem aus dem Print-Gipfel der vorigen Medientage das Zitat überliefert ist, die Grenze zwischen Redaktion und Werbung sei nicht mehr zeitgemäß.

Redaktionsmanager zum Anzeigenappell

Dass ein Zeitungsverleger so etwas ausspricht, war voriges Jahr noch unerhört. Insgeheim hängen dieser Ansicht jedoch schon viele Manager in der (sic!) „Medienindustrie“ an. Diese versuchten „ihre Kriterien aus anderen Industriezweigen eins zu eins auf die Medienunternehmen zu übertragen“, klagte Freimut Duve, Medienbeauftragter der OSZE, kürzlich im Tagesspiegel. Dies führe häufig dazu, „dass die journalistische Seite des Unternehmens hinten runterzufallen droht. Es gibt also immer weniger Einfluss der Journalisten, auch der Chefredakteure.“

Die Chef-Redakteure, denen Duve mehr Einfluss gönnen würde, sind eine bedrohte Art. Konnten sie ihren Managerpflichten gegenüber der Verlagsleitung früher dadurch genügen, dass sie ihren Servus unter Werbebriefe an potentielle Abonnenten setzten, gehört zur Job Description in großen Häusern längst die „Präsentation“ des Blattes
vor „Media-Entscheidern“ – vor jenen Leuten also, die im Auftrag der großen Werbetreibenden lebenswichtige Anzeigenbudgets gewähren. Wer eine solche Roadshow bestreitet, muss fit sein im Vokabular der Anzeigenverkäufer, muss sein „Produkt“ – definiert als die Bereitschaft seiner Leser, Anzeigen zu beachten – den Kunden schmackhaft machen. Die Qualität der Texte oder gar der Recherchen gilt eher nicht als überzeugendes Verkaufsargument. Diese Redaktionsmanager sind genau das, was nach Freimut Duves Ansicht das Unwort  Medienvertreter ausdrückt: Handelsvertreter der Medienbranche.

TV-Programme attraktiv für die Werbekunden

Wer seine journalistische Naivität vollends abstreifen will, braucht nur bei den Münchner Medientagen die Diskussionsforen mit den kaufmännischen Themen zu besuchen. Da kann er lernen, wie regionale TV-Stationen wirtschaftlicher werden: indem sie über das Web-Portal einer Industriefilm-Produktionsfirma „broadcastfähiges
und verschlagwortetes Videomaterial zu internationalen Themen“ ordern und „das Programm kostengünstig mit hochwertigem Content füllen und damit die Attraktivität des Programms auch für Werbekunden erhöhen“, wie es in einer Pressenotiz von den Lokalrundfunktagen heißt.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit stammt dieser „hochwertige Content“ von journalistischen Profis, die mangels guter Jobs bei den Sendern die Seite gewechselt haben, so wie auch im Print-Bereich viele freie Journalisten nur noch deshalb ein Auskommen haben, weil sie sich Auftraggeber in der Wirtschaft gesucht haben. Auf den  Lokalrundfunktagen mahnte der BJV-Vorsitzende Wolfgang Stöckel, bei aller Freude über neue Journalistenarbeitsplätze dürfe der Zuschauer nicht außer acht gelassen werden. Der Rundfunkstaatsvertrag verbiete die Einflussnahme der Werbenden auf die Programmgestaltung und damit eine Irreführung der Zuschauer.

Dass gegen dieses Verbot permanent und mit zunehmender Chuzpe verstoßen wird, ist unter Programmmachern und PR-Leuten ein offenes Geheimnis. Als harmlos gilt es inzwischen, wenn kostenbewusste Redakteure freundliche Pressesprecher um „Sachleistungen“ bitten – man lässt sich lieber auf Product Placement ein, als Geld für neutrale Requisiten auszugeben.

Weniger „harmlose“ Fälle dringen nur selten ans Tageslicht – so im Jahr 1999, als die ARD-Sendung Plusminus eine Produktionsfirma bloßstellte, die Unternehmen gegen Bares ins TV gehievt hatte. Selbstverständlich handelte es sich um einen Privatsender. Bei der Tagung des Verbandes der Medizin-Journalisten (VDMJ) im Juni 2002 in Berlin plauderte der Seeheimer PR-Agent Thomas Postina aus dem Nähkästchen: „In manchen Ratgebersendungen läuft ohne Geld nichts. Wer dort ein interessantes medizinisches Thema vorschlägt, dem wird in manchen Fällen mit entwaffnender Offenheit – wenn auch nur mündlich – mitgeteilt, welcher Produktionskostenzuschuss erwartet wird oder welche Agentur die Themen für den Sender aufbereitet.“ „Manchen“ ist das Codewort, das die Whistleblower schützt. Nur unter 3 erfährt man Konkretes von Sendungen, die in öffentlich-rechtlichen Kanälen laufen. „Ins Programm einkaufen kann ich mich eigentlich bei jedem Sender“, behauptet einer, der es wissen muss. Ross und Reiter zu nennen, kann sich niemand leisten in diesem verschwiegenen Geschäft – Ende der Karriere!

Zuschauertäuschung für erträgliche GEZ-Gebühren

Das, was jeder sieht, verrät jedoch schon Einiges über den Gesinnungswandel in den Führungsetagen der öffentlich-
rechtlichen „Unternehmen“, die allesamt schamhaft die Bezeichnung „Anstalt“ aus ihrem Wortschatz gestrichen haben. Als der Focus das ZDF angriff, weil die Website von Leute heute arglose Surfer auf die Seiten der Parfümerie Douglas dirigiert, wurde ZDF-Sprecher Walter Kehr patzig. „Solche Verwertungserlöse“, konstruierte er einen Nutzen
für den Zuschauer, „führen dazu, dass die Rundfunkgebühren einigermaßen erträglich gehalten werden.“

 

Aus dem BJVreport 4/2003