Es war einmal ein eingetragener Verein, der nannte sich „Deutscher Fachjournalisten-Verband e.V.“, kurz DFJV. Kaum länger als sieben Jahre nahm der Verein dieses Namens Mitglieder auf, vom Sommer 1999 bis zum Herbst 2006…
Da eine märchenhafte, aber wahre Geschichte zu erzählen ist, die im 21. Jahrhundert spielt, muss ich von der Grimmschen Erzählweise leider abweichen. Es gibt kein „und wenn er nicht gestorben ist, dann lebt er wohl noch heute“. Unser „Er“ ist mausetot, seit 2007 schon, und das ist amtlich unwiderlegbar dokumentiert. Er wurde aus kühlem Kalkül vorsätzlich liquidiert – von seinen eigenen Funktionären, die zuvor sämtliche Mitglieder hinauskomplimentiert hatten, ohne ihnen ein Mitspracherecht auch nur anzubieten. Doch wie von Hexenhand entstand über ein Jahr vor dem Exitus des Vereins ein Gebilde, das ihm frappierend ähnelt und seinen Namen trägt, obwohl es keine Mitglieder haben kann und nicht die Kriterien für einen Berufsverband erfüllt. Haben wir es etwa mit einer Art Schrödingerscher Katze unter den Journalistenverbänden zu tun?
Für Eingeweihte war die unlängst aus Berlin eintrudelnde Kunde, „der DFJV“ feiere sein 20-jähriges Bestehen, vielleicht irritierend, aber fast zu erwarten. Schließlich gab es zehn Jahre zuvor ein ebenso fiktives Zehnjähriges. Inszeniert wurde dieses angebliche Jubiläum von einem vor elf Jahren gegründeten Wirtschaftsunternehmen, dessen Name in voller Länge „Deutscher Fachjournalisten-Verband Aktiengesellschaft“ lautet und im Handelsregister unter HRB 104390 B zu finden ist.
Der kommerzielle Wiedergänger des liquidierten Vereins gibt sich seit jeher alle Mühe, sich die AG-Eigenschaft nicht mehr als unbedingt nötig anmerken zu lassen. Wobei einiges für die Ansicht spricht, es sei mehr nötig, zum Beispiel hier bei der Schulungs-Tochterfirma:
Seine Kunden – eigenen Angaben zufolge rund 12.000 Menschen – nennt das Unternehmen „Mitglieder“. Eine bemerkenswerte Wortwahl, denn Mitglieder haben in Aktiengesellschaften doch eigentlich nur die Vorstände und Aufsichtsräte, oder? Selbige bezahlen allerdings keine Beiträge, sondern erhalten Vergütungen. Allenfalls bei Krankenkassen und Fitnessstudios sind „Kunde“ und „Mitglied“ Synonyme. Das Wort ist ergo ein Marketing-Euphemismus, eine klassische Werbelüge. „Verband“ auch. What You See Ain‘t What You Get.
Keine demokratischen Strukturen
Daher liegt die Frage nahe, was denn alles in dem Paket steckt, das so eine AG im Verbandsgewand für ein Jahresentgelt von 95 Euro incl. 19 % MwSt. verkauft – abgesehen von einem Stück Plastik mit dem Aufdruck „Presseausweis“. Konkretes darüber erfährt man als Außenstehender nicht, denn die Website fordert stets ein „Mitglieder“-Login, wenn es zur Sache geht. Das, was einen Berufsverband ausmacht, kann eine Kapitalgesellschaft nicht bieten: eine Vertretung der Mitgliederinteressen in Gesellschaft und Politik. Denn dazu würden erstens echte Mitglieder gehören, zweitens demokratische Strukturen, die diesen eine gemeinsame Willensbildung ermöglichen, und drittens das Recht, Vorstände zu wählen und abzuwählen.
In einer AG haben die Aktionäre das letzte Wort. Sie berufen den Vorstand, und allein vor ihnen muss dieser sich dafür rechtfertigen, wofür er Geld ausgibt. Denn aus ihrer Sicht ist es ihr Geld. Da die „Mitglieder“ nur Kunden und keine Aktionäre sind, können sie sich höchstens beschweren, aber nichts mitentscheiden. Ins Reich der Skurrilitäten gehören daher Fundsachen im Netz, denen zufolge es mindestens zwei Personen gibt, die nicht nur behaupten, sich ehrenamtlich für „den Verband“ (im Klartext: für die Firma) zu verdingen, sondern sich sogar als „Ehrenmitglieder“ der Aktiengesellschaft bezeichnen. Der eine ist Rechtsanwalt, der andere Controller, beide schreiben gerne Fachtexte. Von Berufs wegen sollten sie in Wirtschaft und Recht so bewandert sein, dass sie wüssten, dass das ein Ding der Unmöglichkeit ist. Oder sind sie etwa zu AG-Kunden geworden, ohne davon etwas mitzubekommen?
Die Posse wäre lachhaft, hätten sich nicht einige schwarzrotgelbgrüne Mandatsträger der Berliner Republik die Blöße gegeben, von Sach- und Faktenkenntnis ungetrübte Lobhudeleien zu dem anlässlich des Fantasie-Jubiläums herausgegebenen Märchenbüchlein beizusteuern und auf diese Weise diese Firma im Marketing zu unterstützen:
– von der CDU das Thüringer MdB Johannes Selle und sein sächsischer Fraktionskollege Marco Wanderwitz;
– von der SPD Eva Högl, MdB aus Berlin-Mitte, und Karin Halsch, medienpolitische Sprecherin ihrer Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus;
– von der FDP Marcel Luthe, innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion im Abgeordnetenhaus, sowie sein Parteifreund Florian Kluckert, Sprecher für Kultur- und Gesundheitspolitik;
– von den Grünen das Berliner MdB Stefan Gelbhaar und Andreas Otto, Vorsitzender des Ausschusses für Europa- und Bundesangelegenheiten und Medien im Abgeordnetenhaus.
Hätte eine der beiden Damen oder einer der sechs Herren sich die Mühe gemacht, Grußworte für die Festschrift irgendeiner anderen kleinen Kapitalgesellschaft zu schreiben oder texten zu lassen? Nach gerade einmal 20 Jahren? Bei einer Firma, die mit ihrer vierköpfigen, laut Website nur 20 Stunden pro Woche erreichbaren Geschäftsstelle alles andere als ein wahlkampfrelevanter Arbeitgeber ist? Wer von den Politikern wusste überhaupt, dass es sich um ein kommerzielles Dienstleistungsunternehmen handelt, das so tut, als sei es ein Berufsverband? Und wer dachte darüber nach, was das bedeutet? Fielen sie nicht alle auf den irreführenden Namen herein, der dem Grundsatz der Firmenwahrheit (§ 18 Abs. 2 HGB) Hohn spricht?
Das ist der Punkt: Wo „Verband“ draufsteht, glauben alle, dass auch ein Verband drinsteckt.
Nur sollte man von Parlamentariern wie auch von (Fach-) Journalisten erwarten dürfen, dass sie genau hinschauen.
Klandestine Gesellschaft für Fachjournalistik
Wer bemerkt hat, dass es sich um eine Aktiengesellschaft handelt – und zumindest das ist ja kein Geheimnis – könnte sich zum Beispiel fragen, wem diese gehört. Alleinaktionärin der DFJV AG ist eine als GmbH eingetragene Vermögensverwaltungsgesellschaft namens GFF, hinter der wiederum ein klandestiner Verein mit dem hochtrabenden Namen steht, die „Gesellschaft für Fachjournalistik“. Wer aber sind deren Mitglieder (außer dem Alleinvorstand Thomas Müller)? Wofür nutzt sie die Millionen, die ihre kleine, aber hochprofitable Firmengruppe erwirtschaftet hat, also die DFJV AG samt ihrer Tochterfirma „Deutsches Journalisten-Kolleg“, welche Fernunterricht inklusive Presseausweis verkauft?
Das behält der Trägerverein für sich. Google weiß über die Gesellschaft für Fachjournalistik nicht viel mehr, als dass sie 2010 mal eine Online-Befragung durch ein Uni-Institut mitfinanziert hat. Was in der Trefferliste fehlt: eine Website mit einem „über uns“ und öffentlichen Geschäftsberichten. (Falls jemand jemals davon gehört haben sollte, dass diese zugeknöpfte Gesellschaft schon mal Mitgliederwerbung getrieben oder Transparenz in jeglicher Form geschaffen habe, melde er/sie sich bitte sofort bei mir. Das wäre für mich eine sensationelle Neuigkeit.)
Mit etwas Recherche bekommt man immerhin heraus, dass die GFF-Holding bis zum Jahr 2015 ihr Anlagevermögen auf 2,7 Millionen Euro steigerte. Und man kann abschätzen, wieviel Geld die DFJV AG mit ihrem Kerngeschäft – also ohne die Tochter – erwirtschaftet: Wenn 12.000 Kunden 95 Euro brutto bezahlen, bleibt nach Abzug der Mehrwertsteuer knapp eine Million Euro jährlich in der Kasse. Angesichts der Mini-Belegschaft würde sie schlecht wirtschaften, bliebe davon nicht mindestens die Hälfte als Vorsteuergewinn übrig.
Pomp, Duck & Circumstance
Aber zurück zum Inhalt des Märchenbüchleins, einer Sonderausgabe der DFJV-Postille „Fachjournalist“! Felix Fischaleck, PR-Mitarbeiter der Verbands-AG und Chefredakteur des Heftes, steigt in die Chronik „20 Jahre DFJV – ein Rückblick“ mit einer Gründungslegende ein, die Prädikate wie „Fake News“ oder „Lügenpresse“ wahrhaft verdient hätte. Die dürren 17 Zeilen camouflieren eine Schelmengeschichte, aus der man einiges darüber lernen kann, womit Vereine in Berlin, vielleicht auch anderswo in Deutschland, beim Registergericht und in der Öffentlichkeit durchkommen.
Wer sich im Sommer 1997 zusammensetzte und im Oktober zum Notar marschierte, waren keine sieben Personen, die mit „ihren“ journalistischen Berufsverbänden hätten unzufrieden sein können, sondern vier junge Leute, die keine Chance gehabt hätten, von einem dieser Verbände überhaupt aufgenommen zu werden: zwei Schüler, eine Schülerin und ein Einzelhandelskaufmann. Das Quartett gründete auch nicht gleich den DFJV-Vorläufer AJM, sondern versuchte erst einmal erfolglos, einen „Deutschen Journalisten-Club“ zu gründen.
Selbstbewusst, wie sie waren, nannte sich einer der beiden Schüler „Vorstandsvorsitzender“. Der andere sicherte sich im Vorgriff auf noch zu erbringende Glanzleistungen den Titel „Ehrenvorstandsvorsitzender“ samt einem Bündel Sonderrechte. Von ihm, der Hauptfigur des Märchens, soll fortan platzsparend als „Ehvovo“ die Rede sein. Die Schülerin war „Stellvertretende Vorstandsvorsitzende“ (sagen wir: Stevovo) und der Kaufmann „Vorstandsbeisitzender“. Um auf die obligatorischen sieben Namen zu kommen, ließ das Quartett ferner einen jungen Mann als „Aufsichtsratsvorsitzenden“, die damalige Freundin des Ehvovo als „Ehrenaufsichtsratsvorsitzende“ sowie eine betagte frühere Einzelhandelskauffrau als „Aufsichtsratsbeisitzende“ unterschreiben.
Neben den pompösen Titeln stach aus der Satzung eine Bestimmung für den Fall einer Auflösung des Vereins heraus, die deutlich macht, dass die Gründer den Club als Eigentum der Funktionäre betrachteten:
„Nach erfolgter Auflösung fällt das übrige Vereinsvermögen zur weiteren Verwendung an den Vorstand unter dem Vorsitz des Ehrenvorstandsvorsitzenden.‟
Offen für alle, die Beiträge zahlen und nicht mitreden wollen
Das Angebot der Rechtspflegerin, die Probleme in einem persönlichen Gespräch zu besprechen, nahmen die Gründer an. Dabei blieb unter anderem der großspurige Namensbestandteil „Deutscher“ auf der Strecke. Kurz vor Weihnachten 1997 beschloss der Möchtegern-Vorstand ohne die Pseudo-Aufsichtsräte eine neu gefasste Satzung, mittlerweile Version 3. Dabei bekam der Verein den neuen Namen „Allgemeiner Journalisten- und Medienclub“ verpasst (siehe Ausriss oben). Die Verallgemeinerung nahm dem Gericht offenbar die Bauchschmerzen.
Unbeanstandet ging durch, dass zu Mitgliederversammlungen nur bei Bedarf eingeladen werden musste. Das war insofern praktisch, als die Mitglieder auch gar keine expliziten Rechte hatten, die einen solchen Bedarf hätten begründen können. Ebensowenig nahmen die Beamten Anstoß daran, dass ein Aufsichtsrat (der im für Vereine maßgeblichen BGB gar nicht vorgesehen ist) vom Vorstand bestimmt wurde, also genau andersrum als bei Aktiengesellschaften. Selbst die Regelung, wonach sich der Vorstand das Vereinsvermögen unter den Nagel reißen durfte, überlebte die Überarbeitung und gerichtliche Überprüfung – sogar in schamloserer Form, nämlich auch bei einem Entzug der Rechtsfähigkeit:
Da die Gründer aber erneut Formfehler begingen, dauerte es bis zum 10. Februar 1998, bis der AJM eingetragen war. Selbst wenn man ignoriert, dass AJM, DFJV e.V. und DFJV AG nicht dasselbe sind, wäre das Jubiläum demnach erst dieses Jahr zu feiern gewesen. Doch um einen ernsthaften Berufsverband oder gar um Fach-Journalismus ging es in beiden Club-Satzungen nicht. Mitglied werden konnte danach…
…„jede natürliche Person‟, die „haupt- oder nebenberuflich journalistisch tätig ist, journalistisch ausgebildet wird oder in irgendeiner Form Wort, Schrift oder Bild in einem Medium veröffentlicht hat‟, beim AJM sogar auch „jede juristische Person, die mit dem Journalismus im Zusammenhang steht oder den Verein fördern will‟.
Mit anderen Worten: Der AJM stand einerseits Verlegern und Vereinen offen, andererseits jedem, der wenigstens einen Leserbrief oder eine einzige Presseinfo seines Kaninchenzüchtervereins in seiner Lokalzeitung untergebracht hatte.
Warum das so war, erschließt sich bei Lektüre der Satzung. In dieser ist bereits – unabhängig von der Mitgliedschaft – die Rede von Presseausweisen. Solche stellte der Verein schon kurz nach seiner Gründung aus, ohne dass es dafür einen triftigen Grund gegeben hätte – und bekam rasch juristischen Ärger. Denn sein Presseausweis sah dem offiziellen Vorbild, das von DJV, DJU, BDZV und VDZ herausgegeben wurde, zum Verwechseln ähnlich. Im Mai verpflichtete sich der AJM, ihn nicht mehr auszustellen, nur um seine Unterlassungserklärung ein paar Wochen später zu widerrufen. Es folgte ein Schriftwechsel mit dem DJV, der sich das Plagiat nicht gefallen ließ. Mitten in dieser Auseinandersetzung hatte der AJM plötzlich einen neuen Vorsitzenden, eingesetzt vom Ehvovo und dem Beisitzer (die inzwischen als Prokurist bzw. Geschäftsführer einen ominösen Kleinstverlag führten) sowie der Stevovo. Ob der erste Vorsitzende die Brocken hinschmiss oder abgesägt wurde, wissen wohl nur die Beteiligten. Plausibler erscheint Letzteres. Jedenfalls machten sich zwei AJM-Funktionäre (vielleicht auch nur einer unter zwei Nutzernamen) bald im Usenet unmöglich, indem sie in Newsgroups für den AJM und den Kleinstverlag warben – ein klarer Verstoß gegen die Netiquette.
Deutscher Medien-Ver…band?
Im April 1999 wollte der Verein zum Verband werden, aber von Fachjournalisten war keine Rede. Mit Unterschrift des Vorstandsvorsitzenden, aber verräterischerweise unter dem Diktatzeichen des Ehvovo, erkundigte sich der AJM beim Hamburger Registergericht, warum sich ein dortiger Konkurrenzverein, der DPV, „Verband“ nennen dürfe, obwohl es sich nicht um einen Zusammenschluss anderer Vereine handelte. Nach erfolgreicher Sondierung wandte sich ein paar Wochen später eine „Assistentin des Vorstands“ (die sich später als neue Freundin des Ehvovo erweisen sollte) ans Berliner Registergericht:
„Vielleicht sind Sie so freundlich und können uns mitteilen, was genau Kriterien sind, die Verbandsqualität ausmachen, um mit dem Namen ‚…Verband…’ im Vereinsregister eingetragen werden zu können sowie, welche Erfordernisse gelten, um das Wort ‚Deutscher … (z. B. Medienverein)’ verwenden zu dürfen oder wo wir uns nach solchen Informationen rechtsverbindlich erkundigen können.‟
Die Rechtspflegerin antwortete, der Vereinsname dürfe nicht zu Täuschungen im Rechtsverkehr und in der Öffentlichkeit führen. Und:
„Der Name Verband und auch ein Zusatz ‚Deutscher‘ könnten eine Täuschung hervorrufen.‟
Im Juni fragte die „Assistentin“ beim Gericht nach, ob es akzeptabel sei, den Verein umzubenennen in „Allgemeiner Journalisten- und Medienverband für Nebenberufliche Journalisten e.V.“, was immer dieses tautologische Wortungetüm ausdrücken sollte, oder – etwas aufgeräumter – „Deutscher Medienverband für Nebenberufliche Journalisten e.V.“ Der Verein „verfüge“ über knapp 130 natürliche Personen und einige Verlage als Mitglieder, die aus allen Teilen Deutschlands kämen, argumentierte sie für eine Legitimität der begehrten Begriffe „Verband“ und „Deutscher“.
Allein schon diese Formulierung – ein Verein „verfügt“ über seine Mitglieder statt umgekehrt – lässt die Luft aus Fischalecks buntem PR-Ballon vom „damals schon verankerten Service-Gedanken“. Es liest sich, als sähen überambitionierte Funktionäre die Mitglieder als Verfügungsmasse bei ihren Wachstumsambitionen.
Feuer, Licht und Ungereimtheiten
Schon eine Woche später reichte der AJM eine Satzungsänderung ein, wonach der Vereinsname „Deutscher Medienverband Nebenberuflicher Journalisten“ lauten solle. Das Gericht äußerte Bedenken, aber nicht, weil keine Mitgliederversammlung stattgefunden hatte. Die Satzung erlaubte dem Vorstand beliebige Änderungen ihrer selbst ohne jedes Mitsprache- oder Vetorecht der Mitglieder.
Beanstandet wurde vielmehr, mit dem neuen Namen würden eventuelle Hauptberufler zum Austritt gezwungen. Und das ging dann doch zu weit. „Eine solche unverhältnismäßige Beeinträchtigung des Mitgliedsrechts“, schrieb die Rechtspflegerin zurück, „darf nicht eintreten.“ Das Attribut „Deutscher“ sei okay, aber 130 Mitglieder reichten nicht aus für einen „Verband“. Darauf antwortete nun der Ehvovo in Vertretung („i.V.“) seines Nicht-Ehren-Kollegen. Um zu begründen, warum der AJM Verbandseigenschaften habe, übersandte er eine Liste juristischer Personen, die Mitglieder seien, darunter der Computer-Verein Dülmen, die Redaktion „Feuer und Licht“ des Katholischen Vereins zur Förderung des geistlichen Lebens e. V. am Ordensritterweg in Warstein, der AStA der Fachhochschule Aachen sowie der Thomas G. Müller Verlag & Co. GbRmbH. Dessen Anschrift in einem Kleinmachnower Villen- und Einfamilienhaus-Viertel war identisch mit der Privatanschrift des Ehvovos zum Zeitpunkt der Vereinsanmeldung.
Spoiler: Es handelt sich um denselben Thomas Müller, der bis heute, anno 2018, Vorsitzender der Gesellschaft für Fachjournalistik, Geschäftsführer der GFF Verwaltungsgesellschaft mbH und Aufsichtsratschef der DFJV AG ist – und stellvertretender Vorsitzender eines anderen Vereins, der seit 2009 den Namen Deutscher Medien-Verband nutzt. Die beiden Studiosi und Jungunternehmer waren nicht nur befreundet, sondern wohnten eine Weile unter einem Dach.
Jedenfalls gab die Rechtspflegerin nach. Gegen die Namensänderung in „Deutscher Verband Nebenberuflicher Journalisten e.V.“ machte sie keine Bedenken mehr geltend. Dabei hätte sich der Gedanke aufgedrängt, dass an der Sache etwas nicht ganz koscher war: Der Vereinsvorsitzende hatte nach seiner Wahl dem Gericht „Journalist“ als Berufsbezeichnung angegeben – was in dem von Schülern und Kaufleuten gegründeten Club eine auffällige Ausnahme war. Warum hätte er dies tun sollen, wenn er einen anderen Hauptberuf ausübte und es die Nebenberuflichkeit war, was die Mitglieder miteinander verband? Denkt man den Gedanken zu Ende, hätte sich der gesetzliche Vertreter quasi selbst aus dem Verein geworfen, falls er es war, der die Beschränkung auf Nebenberufler wollte. Das war nicht plausibel.
Vereinsumbau ohne den Vorsitzenden?
Stutzig werden können hätte das Gericht auch aus einem anderen Grund: dass der Vereinsvorsitzende eine so wichtige Angelegenheit wie die Umbenennung überhaupt an den Ehvovo delegierte. Zur rechtlichen Vertretung des Vereins befugt war dieser nicht. „Der Vorstand im Sinne von § 26 BGB“, stand in §4 Abs. 2 der Satzung, „ist der Vorstandsvorsitzende.“ Der Ehvovo wurde in der Satzung erst an vierter Stelle nach dem Stellvertreter und dem Beisitzer genannt. In der Korrespondenz wurden auch kein Notstand und keine Dringlichkeit geltend gemacht, die die anderen Vorstandsmitglieder dazu gezwungen hätten, in Abwesenheit des Chefs zu handeln.
Es kommt aber noch bunter. Acht Tage später ging im Gericht völlig überraschend ein Fax ein mit dem Briefkopf „Deutscher Fachjournalisten-Verband e.V., ehemals Allgemeiner Journalisten- und Medienclub e.V.“. Unterzeichnet hatte dieses erneut der Ehvovo, diesmal nicht „i.V.“ des gesetzlichen Vorstands, sondern „i.A.“. Das Kürzel bedeutet im Klartext, dass jemand nicht aufgrund einer Generalvollmacht im eigenen Ermessen agiert, sondern den Auftrag hat, die konkrete Angelegenheit im Sinne desjenigen zu erledigen, der ihm hierfür die Vollmacht erteilt hat. Seltsamerweise war die Adresse des noch gar nicht existenten DFJV nicht die des noch längst nicht ehemaligen AJM, sondern identisch mit der neuen Privatanschrift des Ehvovo und seiner Assistentin. Eine Verlegung des Vereinssitzes war dem Gericht bis dahin nicht mitgeteilt worden, und im Fax wurde sie auch nicht thematisiert, so dass man sich hätte fragen können/sollen/müssen, was denn nun, bittteschön, die ladungsfähige Anschrift des Vereinsvorstands sein sollte.
Der Inhalt des Faxes wirkte im Zusammenspiel mit dem Briefkopf, als sei das Raum-Zeit-Kontinuum ins Rutschen gekommen:
„1. Wir haben einige unserer Mitglieder bzgl. der Namensänderung befragt mit dem Ergebnis, dass viele unseren Vorschlag abgelehnt haben, weil das Wort ‚nebenberuflich‘ in ‚Deutscher Verband Nebenberuflicher Journalisten‘ abwertend klingt. Wir haben uns dann auf ‚Deutscher Fachjournalisten-Verband‘ einigen können, da nach Ansicht unserer Mitglieder nicht ausschlaggebend ist, dass wir nebenberuflich arbeiten, sondern dass wir fachspezifisch arbeiten. Ist dieser Name auch in Ordnung? Wir haben Ihnen die Satzungsänderung heute zugeschickt.
2. Dürfen wir den Namen jetzt schon nutzen?
Wenn Sie uns möglichst schnell antworten würden, wären wir Ihnen sehr dankbar, denn dann könnten wir schon ab 01.08.1999 mit unseren Änderungen beginnen.‟
Möglichst schnell hieß: bis morgen. Denn laut Protokollzeile des Faxgeräts wurde das Fax am 28. Juli 1999 übermittelt, einem Mittwoch, und zwar nach Dienstschluss. Es konnte demnach erst am Donnerstag bearbeitet werden, und der 1. August war der Sonntag. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich das fassungslose Kopfschütteln, aber auch die Belustigung der MitarbeiterInnen des Registergerichts angesichts dieser anmaßenden und – man kann es kaum netter ausdrücken, ohne es zu beschönigen – dummdreisten Fristsetzung auszumalen. Eine solche Mixtur aus Großspurigkeit und Naivität, wie sie die jungen Leute an den Tag legten, dürfte Seltenheitswert gehabt haben.
Wer hatte eigentlich das Sagen?
Noch mal kurz zusammengefasst: Der AJM hatte bereits eine Satzungsänderung mit einer Änderung des Namens, aber zuvor die Mitglieder nicht befragt, weil er dazu ja nicht verpflichtet war. Die erneute Umbenennung beruhte nun auf der freiwilligen Befragung „einiger“ der 130 Mitglieder, von denen „viele“ dagegen waren. Wer an der Einigung auf den „Fach“-Journalismus tatsächlich beteiligt war, blieb offen.
Wie planlos die Beteiligten agierten, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass sie die Frage, ob sie den neuen Namen überhaupt nutzen dürfen, auf einem Briefbogen schickten, auf dem sie diesen bereits nutzten.
Immerhin verwendeten die Möchtegern-Fachjournalistenfunktionäre zum Einreichen der neuen Satzung noch korrekt das alte Briefpapier. Die Umbenennung scheiterte zunächst an etwas anderem: Die jungen Leute hatten versäumt, zum Notar zu gehen, um sich die Erklärung beglaubigen zu lassen. Das brachte sie in die Bredouille, denn der offizielle, wenn auch nicht sonderlich engagierte BGB-Vorstand hielt sich „für eine ganze Weile aus beruflichen Gründen nicht in Berlin“ auf. Das hielt den Ehvovo nicht davon ab, im Namen des Vorsitzenden in der Ich-Form ans Gericht zu schreiben. Seinen eigenen Namen und seine Unterschrift setzte er einfach zusätzlich unter die Namenszeile des gesetzlichen Vertreters – diesmal ganz ohne „i.V.“ oder „i.A.“. So durfte sich das Gericht selbst zusammenzureimen, wer dieser „Ich“ war.
Obwohl der gesetzliche Vertreter also angeblich anderenorts unabkömmlich war, traf er sich bereits am folgenden Sonntag mit den anderen Vorstandsmitgliedern in einem Potsdamer Restaurant – jedenfalls steht es so in einem Protokoll, das er nicht selbst unterschrieben hat, sondern der heimliche Chef, der Ehvovo. Laut Satzung hieß der AJM nun DFJV. Im Zuge der Umtaufe fiel der alberne Titel „Ehrenvorstandsvorsitzender“ endlich weg, die Selbstbereicherungsklausel für den Fall der Vereinsauflösung blieb jedoch bestehen. Vor allem: Für Menschen, die mit Journalismus oder gar Fachjournalismus nicht im Entferntesten zu tun hatten, standen nicht nur Hintertüren offen. Jetzt wurden ihnen Scheunentore aufgerissen. Sie brauchten nur zu erklären, sie wollten den „Verband fördern“:
„Mitglied kann jede natürliche Person sein, die haupt- oder zweitberuflich journalistisch tätig ist, journalistisch ausgebildet wird oder in irgendeiner Form regelmäßig Wort, Schrift oder Bild in einem Medium veröffentlicht, insbesondere Berufstätige, die im Zusammenhang mit ihrem Hauptberuf fachlich journalistisch tätig sind und Selbständige, zweitberufliche und freiberufliche Journalisten und Medienuntemehmer mit spezifischer Fach- oder Themenausrichtung und jede natürliche oder juristische Person, die den Verband fördern will.‟
Anders gesagt: Die explizite Erwähnung verschiedener Sorten von schreiberisch Tätigen war pure Augenwischerei.
Allerdings musste die Prozedur noch einmal wiederholt werden. Als der Vorstand am 28. August 1999 erneut die neue Satzung beschloss, war der inaktive Vorstandsvorsitzende gerade zurückgetreten (worden?) und die 21-jährige „Stellvertretende Vorstandsvorsitzende“ nachgerückt. Die Eintragung des DFJV ins Vereinsregister erfolgte erst am 18. Oktober.
Presserabatt-ausweise für Sozialhilfeempfänger
Was nach wie vor Sinn und Zweck der Übung war, ist kein Geheimnis. Während der monatelangen Suche nach einem wohlklingenden Namen und einer griffigen Zielgruppe hatte der AJM trotz des Ärgers um sein Presseausweis-Plagiat weiter Werbung dafür gemacht, sich einen Presseausweis zu bestellen. Im Mai 1999 war zum Beispiel ein Inserat im Medium Magazin erschienen, das auf Presserabattjäger zielte:
Wer die Web-Adresse aufrief, merkte allerdings, dass der Presseausweis gar nicht gratis zu haben war, sondern nur im Rahmen einer beitragspflichtigen Mitgliedschaft:
„Auch Personen, die noch keine Journalisten sind, können bei uns Mitglied werden und einen Presseausweis erhalten … daher sind unsere Mitgliedsbeiträge niedrig im Vergleich zu Verbänden, in denen man bis zu 400 DM oder gar über 1.000 DM im Jahr zu zahlen hat. Unser Jahresbeitrag fängt bei DM 49,00 (Redaktionsrabatt) und bei 80 DM für Einzelmitglieder an.‟
Angestellte, Selbständige und Freiberufler sollten 140 Mark bezahlen, Pensionäre und Rentner 120 Mark, Schüler, Studenten, Wehr- und Zivildienstleistende sowie Arbeitslose 100 Mark. Die 80 Mark galten für Sozialhilfeempfänger. Etwas als kostenlos anzubieten, das man nur bekommt, wenn man Geld ausgibt, galt (und gilt) als unlauterer Wettbewerb. Deshalb nahm sich der Deutsche Schutzverband gegen Wirtschaftskriminalität e. V. den AJM zur Brust. Wieder musste der Vereinsvorstand eine Unterlassungserklärung unterzeichnen. Er hatte sich keine Mühe gegeben, durch Herausstellen irgendeines anderen Nutzens zu kaschieren, dass der Vertrieb von Presseausweisen die alleinige raison d’être der Organisation war.
Aber sein Vorstand lernte daraus. Unter dem Namen DFJV trat er in der Öffentlichkeit fortan cleverer auf – und ab Februar 2000 auch unter neuer Regie. So wechselte die Interims-Chefin zurück auf einen der beiden Vize-Posten, während der Ehvovo und Ober-Strippenzieher das Gremium verließ, um Platz zu machen für seine 19-jährige „Assistentin“. Diese stellte sich beim Notar wie ein Profi als „Journalistin“ vor. Dabei hatte sie noch nicht einmal ihr Abitur in der Tasche. Bei dieser Gelegenheit änderte der DFJV-Vorstand auch noch die Satzung: Fortan sollte nicht mehr der Vorstand den Aufsichtsrat bestellen, sondern umgekehrt. Darüber hinaus wurden die Aufsichtsräte autorisiert, die Posten ausgeschiedener Mitglieder selbst neu zu besetzen.
Da Satzungsänderungen erst wirksam werden, wenn sie ins Vereinsregister eingetragen sind, bestellte allerdings noch einmal der Vorstand die Aufsichtsräte. Wen genau, ist dem Protokoll nicht explizit zu entnehmen, aber aus dem Kontext lässt sich schließen, dass der Ex-Ehvovo sich einen Posten gesichert hat. Die beiden jungen der drei Gründungsmitglieder, die das Gremium bildeten, scheinen nach der Gründungsphase bald ausgestiegen zu sein. Jedenfalls werden sie in der Registerakte danach nicht mehr erwähnt. Nur die alte Dame spielte laut Aktenlage das Spiel noch mit.
Die Fiktion der Umwandlung in eine AG
Was die Dokumente nicht hergeben, sind Anhaltspunkte für den im Jubiläumstext erwähnten „Service-Gedanken“ oder Überlegungen zur „Wissens- und Informationsgesellschaft“. Fischalecks eingangs zitierte Textpassage ist also PR-Geschwurbel ohne Bezug zum richtigen Leben. Diese hier auch:
Erwähnenswert an Fischalecks Darstellung der Firmengeschichte ist noch die Passage, in der es um die Gründung der AG geht. Hier behauptet der Autor, es habe sich um eine Umwandlung des Vereins in eine AG gehandelt:
Ein solcher Rechtsformwandel wäre ein extrem schwieriges Unterfangen gewesen, aber er hat nie stattgefunden. Was wirklich lief, war schon kompliziert und raffiniert genug.
So gab es die DFJV AG bereits, als der DFJV e.V. noch existierte. Ihre alleinige Gründungsaktionärin war die Vereinigung für Fachjournalistik. Diesen e.V. hatten sieben Personen aus dem engstem Umfeld des Ex-Ehvovo (Familie, Freunde, Mitarbeiter) am 8. September 2006 in Berliner Hotel Estrel gegründet. Dort fand gerade der „Deutsche Fachjournalisten-Kongresses“ statt, eine pompöse Marketingveranstaltung des DFJV e.V. Der Vorsitz des neuen Vereins blieb dabei zunächst in der Familie, später übernahm ein Freund (besagter Thomas Müller).
Sechs Wochen später marschierte die Vorsitzende der Vereinigung mit der Satzung der zu gründenden DFJV AG zur Notarin. Als Beruf gab die Versicherungsagentin „Bankkauffrau und „Finanzjournalistin“ an; bei einer Google-Suche nach ihrem Namen ließ sich eine journalistische Tätigkeit allerdings nicht verifizieren.
50.000 Euro in bar auf den Tisch
Noch im Oktober zahlte die Dame das Grundkapital von 50.000 Euro in bar ein. Bald darauf übernahm die Vereinigung für Fachjournalistik alle Anteile an der Nestor Assets GmbH. So hieß die Vermögensverwaltungsfirma, die der Ex-Ehvovo als Holding für seine Deutsche Fachjournalisten-Schule GmbH (DFJS) gegründet hatte, einen Anbieter von Schreibkursen. Nestor firmierte daraufhin um in GFF Verwaltungsgesellschaft mbH und verleibte sich die DFJV AG ein. Parallel dazu zog die Vereinigung für Fachjournalistik vom Land Brandenburg nach Berlin um nannte sich fortan Gesellschaft für Fachjournalistik. Dieser besser klingende Name war in Potsdam abgelehnt worden.
In der Zwischenzeit hatten die Mitglieder des DFJV e.V. per Post einen Vordruck mit der Überschrift „Presseausweis-Verlängerung/Übertritt“ bekommen, mit dem sie vor vollendete Tatsachen gestellt wurden: Wer weiterhin einen DFJV-Presseausweis nutzen wollte, etwa um die BahnCard zum halben Preis zu erwerben (was heute nicht mehr geht), musste unterschreiben, dass er Kunde der AG werden will. Allerdings stand da nicht das Wort „Kunde“, sondern „Mitglied“.
Die Übersetzung fand sich in § 2 Abs. 2 Satz 1 der Satzung der AG im Handelsregister des Amtsgerichts Charlottenburg:
Der zuständige Richter, der den Namen „Verband“ für einen Nicht-Verband durchgehen ließ, erkannte das Problem nicht: Rechtsform und Terminologie passen hier nicht mehr zueinander. Wer vermeintlich eindeutige Begriffe bewusst für etwas ganz anderes verwendet, führt die Menschen gezielt in die Irre. Das Phänomen ist in der Kommunikationswissenschaft als Framing bekannt: Durch das Neubesetzen eines Begriffs mit anderer Bedeutung konstruiert man sich den Rahmen für seine eigene euphemistische Wirklichkeit. So arbeiten auch Propagandisten und Werbeleute. Mitglied in einem Verband zu sein hat viel mehr Appeal als Kunde einer Firma zu sein, deren wichtigste Dienstleistungen man einem Dritten kaum erklären könnte, ohne ins Stocken zu geraten. Eine wirklich konkrete Beschreibung des Produkts namens „Mitgliedschaft“ findet man auf dfjv.de so wenig wie eine handfeste Erklärung, was unter „hochwertigen Dienstleistungen“ zu verstehen ist.
Wie war das mit dem Datenschutz?
Die Hauruck-Aktion mit dem Übertrittsformular war nicht nur vereinsrechtlich ein einmaliger Vorgang, sondern auch datenschutzrechtlich grenzwertig: Urheber des Formulars war ausweislich des Brieffußes und der Rücksendeadresse bereits die AG, also eine rechtlich eigenständige Körperschaft, mit der das Vereinsmitglied noch keine Geschäftsbeziehung unterhielt. Die Übertragung seiner Daten, der das Mitglied durch seine Unterschrift zustimmen sollte, war demnach bereits erfolgt und sollte nachträglich legitimiert werden. Korrekt wäre gewesen, dem Mitglied die Wahl zwischen Zustimmung und Widerspruch zu lassen und die Antwort an den Verein zu senden. Diese Trennung existierte freilich eh nur auf dem Papier: Verein und AG teilten sich Geschäftsstelle und Personal. Der alte e.V. wurde umbenannt in DFJV 1997 e.V.; den Vorsitz übernahm in Personalunion der Alleinvorstand der AG.
Rund ein Jahr lang existierten AG und Vereinstorso nebeneinander. Im November 2007 wurde der e.V. still eingeschläfert. Die Mitgliederversammlung im Hotel Müggelsee dauerte laut Protokoll fünf Minuten: von 10:00 bis 10:05 Uhr. Der Vorsitzende begrüßte die ungenannten „Erschienenen“, schlug sich selbst als Versammlungsleiter vor, beantragte die Auflösung des Vereins zum 31.12.2007 und seine Bestellung zum Liquidator. Der Beschluss der aus formellen Gründen nötigen Sitzung fiel einstimmig. Ob das auch hieß: mit einer einzigen Stimme, ist dem Protokoll nicht zu entnehmen. Zumindest hatte der Verein alles getan, sich seiner Mitglieder zu entledigen. Das Restvermögen des Vereins wurde der FU Berlin vermacht. Als es 2009 in zwei Tranchen auf den Konten der Universität landet, sind es nach deren Angaben gerade einmal 26.000 Euro.
Dass sich nicht 100 Prozent der Mitglieder die kaltschnäuzige Umwandlung in Kunden einer Kapitalgesellschaft gefallen ließen, ist in der Vereinsregisterakte dokumentiert. Allerdings war nur ein einziger Fachjournalist so wütend, dass er seinen Protest auch ans Gericht sandte. Der Mann nahm die offizielle Begründung der Aktion – sie sei notwendig, um den Mitgliedern bessere Dienstleistungen bieten zu können – nach Strich und Faden auseinander. Er kannte aber seinen eigenen „Berufsverband“ so schlecht, dass er ihn für gemeinnützig gehalten hatte. Das war der DFJV jedoch nie gewesen.
größtmögliche Intransparenz
Laut der Darstellung des AG-PR-Manns Fischaleck soll immerhin die Gesellschaft für Fachjournalistik gemeinnützig sein:
Das war sie anfangs tatsächlich, aber das hat nichts zu bedeuten. Um vom Finanzamt für Körperschaften als gemeinnützig anerkannt zu werden, reicht beim Erstantrag die Vorlage einer Satzung, die bestimmten formalen Kriterien genügt. Diese Anerkennungen sind aber befristet, in diesem Fall bis 2008. Ob sie je verlängert wurde, verrät das Finanzamt nicht. Es fällt unter das Steuergeheimnis. Nur Vereinsmitglieder und etwaige Spender wissen mehr.
Mit dem hier erwähnten Journalistenkolleg hat die Sache schon gleich gar nichts zu tun: Die DFJV Deutsches Journalistenkolleg GmbH ist kein „Projekt zur Förderung“ von irgendwas, sondern ein auf Gewinnerzielung angelegter Anbieter von Fernkursen, der als Tochtergesellschaft mit Ergebnisabführungsvertrag grundsätzlich selbst zu den Überschüssen der DFJV AG beiträgt. Solche Verträge sind ein beliebtes Mittel, um Transparenz zu verhindern – und bei der GFF-DFJV AG-Firmengruppe nicht das einzige. So weit wie zulässig nehmen die Unternehmen Ausnahmen von der Publikationspflicht in Anspruch, die „kleine“ und „kleinste“ Kapitalgesellschaften begünstigen. So werden Bilanzen nicht zum kostenlosen Abruf im öffentlichen Unternehmensregister bereitgestellt, sondern „hinterlegt“. Sie sind zwar gegen Gebühr für registrierte Nutzer abrufbar, aber nur in einer wenig aussagekräftigen Kurzfassung. Seit Jahren veröffentlichen die GFF und ihre Untergesellschaften keine Jahresüberschüsse mehr. 2011 lag der Bilanzgewinn bei 2.174.837,40 Euro. Der letzte publizierte Gewinn der DFJV AG stammt von 2010, er betrug 306.445,25 Euro.
Von der Website der DFJV AG verschwand die Aussage, die Gesellschaft für Fachjournalistik sei gemeinnützig…
…übrigens schon vor längerer Zeit.
Kein Treffer bei Suche nach Stipendiaten
Da dieser Verein nicht auf Spenden angewiesen ist, hätte er von einem solchen Status, für dessen Erhalt er seine mildtätigen oder das Gemeinwohl fördernden Aktivitäten nachweisen müsste, keinen unmittelbaren Nutzen in Euro und Cent. Die Zeit, als er sich mit guten Taten brüstete, liegt auch schon eine Weile zurück. Wer von den ursprünglich sieben Mitgliedern inklusive Vorstand sich tatsächlich einmal „ehrenamtlich für die Förderung des wissenschaftlichen Erfahrungs- und Gedankenaustausches über Fachjournalismus im Rahmen von Veranstaltungen“ engagiert hat, liegt im Dunkeln. Die Namen der fünf einfachen Gründungsmitglieder, die nie Vorstand waren, liegen nicht einmal im Klartext vor (allerdings ließen sich die Unterschriften zuordnen).
Bei wem sich journalistische Nachwuchskräfte um ein Stipendium bewerben könnten und ob jemals jemand eines erhalten hat, ist ein Rätsel. Niemand brüstet sich damit. Der Verein selbst ist, wie gesagt, im Web nicht auffindbar; die Adressen „fachjournalistik“ und „gesellschaft-fuer-fachjournalistik“ sind in Kombination mit allen passenden und unpassenden Top-Level-Domains noch zu haben. Um so erstaunlicher ist es, dass dieser Verein zwei Websites verantwortet, die von der DFJV-Tochter Journalistenkolleg betrieben werden.
Über die Gesellschaft oder ihre Stipendien steht dort aber nichts. Wer nach stipendium „gesellschaft für fachjournalistik“ googelt, landet statt dessen wo? Hier in meiner Wortpresse!
Bleibt vom vor elf Jahren Versprochenen noch die „Ausschreibung von Forschungsaufträgen zum Thema Fachjournalismus an Hochschulen“. So etwas macht sich immer gut, doch der finanzielle Rahmen kann trotzdem klein sein und die Frequenz niedrig. Wer nach Aktivitäten des verschwiegenen Vereins googelt, landet zielsicher bei einer Online-Befragung von 2010. Die Autoren der Studie erwähnen ausdrücklich, dass Kostengründe für die Wahl dieser Umfrageart sprachen. Es mag dafür also vielleicht ein vierstelliger Betrag in den Drittmitteltopf der FU Berlin geflossen sein. Die kleine Investition diente aber primär dem Haupt-Sponsor DFJV zu Marketingzwecken: Deren Logo prangt auf dem Deckblatt. Sollte sich seither noch etwas Ähnliches getan haben, hätte Fischaleck, der auch Online-Redakteur der AG ist, seine Hausaufgaben nicht gemacht.
Aber darauf kommt es angesichts der ungemein kreativen 20-Jahre-Chronik, die er als Chefredakteur verantwortet, wirklich nicht mehr an.
Aus meinem Archiv zum Thema:
Die Geldmaschine (journalist 5-2011)
Stationen einer Karriere (journalist 5-2011)
Verbandsimitat aus der Retorte (BJVreport 4-2009)
Potemkin im Mediendorf (journalist 11-2006)
Ich bin kein zertifizierter Qualitätsjournalist Blogbeitrag vom Oktober 2013
Bahn erschwert Pseudo-Journalistenverbänden das Geschäft Blogbeitrag vom März 2012
DFJV AG spart Papier Blogbeitrag vom Juli 2012
Bullshit Bingo mit dem DFJV Blogbeitrag vom Oktober 2011
Fachjournalistin Koch-Mehrin Blogbeitrag vom Oktober 2011
DFJV AG findet „dröge Hauspostille‟ 250.000 Euro Strafgeld wert Blogbeitrag vom September 2009
Sie sind der oder die 6770. Leser/in dieses Beitrags.
Guter, informativer Artikel!
Mir kam der DFJV komisch vor, dein Bericht ist scheinbar die einzige fundierte Zusammenfassung, wo man konkrete Informationen erhält.
Möchte nicht wissen, wie viele auf die als Verband getarnte AG reinfallen…
Danke für die Blumen. Ich nehme das mal als Anlass für ein kleines Update. Drei Tage nach Erscheinen dieses Textes wurde ins Handelsregister eingetragen, dass das Journalistenkolleg eine neue Geschäftsführerin bekommen hatte. Weitere acht Tage später wurde das Kapital von 27.000 auf 25.000 Euro herabgesetzt, was darauf hinweisen dürfte, dass ein stiller Teilhaber ausgeschieden ist. Im Dezember 2018 war die neue Geschäftsführerin, in deren Vita nichts zu finden war, das sie für eine solche Aufgabe qualifizierte, schon wieder weg und Thomas Müller himself übernahm den Posten mit. Im Januar 2019 bekam die Tochterfirma einen neuen Namen: „DJFV Bildungsgesellschaft mbH“. Zu finden ist sie im Netz – sie bietet Online-Lehrgänge an – aber unter dem Namen „Deutsche Journalisten-Akademie“. (Über das Faible der Macher für das Attribut „Deutsche“ hatte ich mich ja schon zur Genüge ausgelassen.)
Deren Logo ist jedenfalls, sagen wir, etwas konservativ:
https://www.dfjv.de/documents/10180/216509/Akademie.png?t=1564134624428
Ach ja: Der im Text erwähnte Pressesprecher hat mittlerweile auch die GFF-Unternehmensgruppe verlassen.
Ein hochspannender Artikel. Das wusste ich alles noch nicht.
Tipp: Es fehlen die Quellenangaben, und die Wűrze des Artikels verliert sich irgendwann zwischen den vielen Details. Die Informationen schmecken nicht mehr so scharf. Da ist viel Insiderwissen, das aber nicht gekennzeichnet ist. Und außerdem fehlt die Konfrontation: Was sagt denn der DJFV-Geschäftstelle zu den Vorwűrfen? DAS wűrde mich interessieren!
Die Hauptquelle für die Informationen sind Vereins- und Handelsregisterakten, die ich am Amtsgericht Charlottenburg einsehen bzw. über das Registerportal der Länder und das Unternehmensregister (Bundesanzeiger) abrufen konnte. Mir ist bewusst, dass der Text sehr lang ist, aber ich wollte den Lesern auch nicht zumuten, ständig Links zu den älteren Texten anklicken zu müssen (diese finden sich unter dem Beitrag). Im Prinzip handelt es sich um ein Update einer Story, deren erste Versionen ich 2006 für den BJVreport und den Journalist geschrieben hatte. Updates erschienen bereits 2009 und 2011.
Was die Frage nach dem „audiatur et altera pars“ betrifft: 2006 hat mich der damalige Pressesprecher und spätere Vereinsvorsitzende sowie AG-Vorstand gezielt falsch informiert. Kurz vor Gründung der AG schickte er mir den angeblichen Entwurf einer neuen Vereinssatzung, die komplett für den Papierkorb war. Bei späteren Recherchen bekam ich von der damaligen AG-Vorstandsfrau keine Antwort.
Von einer Anfrage in dem Sinne „warum behaupten Sie wider besseres Wissen, es gebe einen Verband, der ein 20-jähriges Jubiläum feiern kann?“, verspreche ich mir nichts. Die Fakten liegen seit Jahren auf dem Tisch:
– 1997/1998 wurde kein Fachjournalistenverband gegründet.
– Der ursprüngliche Verein/Verband existiert nicht mehr.
– Die AG, die seine Mitglieder als Kunden weiterbedient, ist keine Organisation, die Mitglieder haben kann.
– Diese AG ist erst elf Jahre und ein paar Monate alt.
– Das Registergericht hat zugelassen, dass sich die AG „Verband“ nennt, ohne ein solcher zu sein oder auch nur sein zu können.