Pfister ist kein Verräter

Es ist schon seltsam, mit welch pathetischem Furor sich Stephanie Nannen über den „Henri“ alias Egon-Erwin-Kisch-Preis für René Pfister ereifert. Die Enkelin, die nach eigenem Bekunden mit ihrem Opa kaum über dessen Arbeit gesprochen hat, schreibt im Hamburger Abendblatt über den „Skandal“:

„Pfisters Text ist ein Betrug an der Wahrheit, ist Verrat dessen, woran Journalisten mindestens zu glauben vorgeben.“

Laut Kress-Autor Christian Meier sehen das die Juroren Kurt Kister, Peter-Matthias Gaede, Frank Schirrmacher und Mathias Müller von Blumencron nicht so eng. Wenn man es nüchtern betrachtet, geht es eigentlich nicht um ein Fehlverhalten des Kollegen Pfister, sondern um die grundsätzliche Frage, ob die klassische Reportage nicht längst den heutigen Arbeitsmethoden und -bedingungen zum Opfer gefallen ist.

Natürlich darf sich ein Spiegel-Reporter darauf verlassen, dass Kollegen aus der eigenen Redaktion, die in Horst Seehofers Keller waren und von der Merkelin-Lok berichten, keine Münchhausens sind. Er muss auch nicht annehmen, dass Seehofer selbst flunkert, wenn er solche Sachen erzählt. Will sagen: Gegen den Text an sich ist nichts einzuwenden; bisher hat niemand dem Autor einen Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht nachgewiesen. Informationen aus glaubwürdiger Quelle zu verwenden, ist grundsätzlich legitim, wenn sie für den Leser erhellend sind.

Wenn Magazin-Redakteure wie Pfister szenisch einsteigen, ist das vor allem der Sucht der Chefredakteure nach Reportage-Stilmitteln geschuldet (wozu der Spiegel freilich maßgeblich beigetragen hat). Landauf, landab erscheinen deshalb Texte, die aufgrund ihres Strickmusters für den flüchtigen Leser nach Reportage aussehen, auch wenn sie eigentlich Porträts sind – oder das, was früher „Feature“ genannt wurde und heute „Magazingeschichte“. Die Grenzen sind fließend, und wenn man dem Spiegel und dem Kollegen Pfister einen Vorwurf machen darf, dann den, dass sie so scharf auf Anerkennung waren, dass sie einen Text, der streng genommen natürlich keine traditionelle Reportage war und auch im Blatt nicht mit diesem Etikett erschienen ist, bei einem Reportagepreis eingereicht haben.

Man kann durchaus argumentieren, dass Journalisten nur noch dann reportagehaft schreiben dürfen, wenn sie alles mit eigenen Augen gesehen haben. Dann muss man aber auch dafür kämpfen, dass die Verlage ihnen die zusätzliche Arbeitszeit und die zusätzlichen Reisen bezahlen, die unweigerlich damit verbunden sind. Und man muss akzeptieren, dass die Texte erheblich später erscheinen. Die Alternative wäre, die Stilform der Reportage zum Relikt einer vergangenen Zeit zu erklären – zu einem journalistischen Handwerk, das man nur noch mit dem der Hufschmiede und Küfer vergleichen kann. Manufactum-Journalismus, sozusagen.

Wichtiger als fundamentalistische Debatten um Stilformen wäre aber eine Debatte darüber, was inhaltlich in den Texten steht. Tag für Tag erscheinen massenhaft Artikel, die zwar noch den formalen Kriterien für bestimmte Textgattungen genügen, aber miserabel recherchiert oder ohne hinreichendes Vorwissen geschrieben sind, weil die Autoren und Redakteure zu viel in zu kurzer Zeit produzieren müssen.

Wenn die Enkelin schon ihren guten Familiennamen in die Waagschale wirft, dann bitte dafür, dass sich daran etwas bessert.

Nachtrag 13. Mai:

Print-würgt-Macher Michalis Pantelouris und Carta-Blogger Wolfgang Michal (Ex-GEO-Redakteur) haben sich auch interessante Gedanken zum Thema gemacht.

 

 

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2 Antworten auf „Pfister ist kein Verräter“

  1. Haft ist Haft, und ob Rolf Schälike für seine Gerichtsreportagen nun einen richtigen PA hat oder den aus der Brandenburger Druckerei, (Meines Wissens ist sein PA aus Berlin – der Mann ist ja Fachjournalist. — ujf) ist mir ehrlich gesagt egal, da er sich „Gerichtsreporter“ und nicht „Journalist“ nennt und auch keinen PA braucht, um dies tun zu dürfen, und schon gar nicht von den Storys hinter diesen Brandenburger PAs weiß (Einige der Redakteure von „XN“ haben übrigens ähnliche Kritiken wg. „Brandenburger“ PAs über sich ergehen lassen müssen und wußten gar nicht, wie ihnen geschieht, das verstehen nur Insider – leider).

    Ich unterstütze seine Aktivitäten. Und würde ihm sogar einen Vollzeit-PA zugestehen, da er (was ich niemals könnte und wollte) diese Dinge zu einem Vollzeit-Job gemacht hat, ohne deshalb ein Querulant zu sein.

    Über Kollegen „herziehen“ tu ich nicht, es war dort nicht anders als anderswo. (Schon klar. Aber gerade deshalb sollte der Textchef nicht identifizierbar sein. — ujf) So schreibt man heute „magazinig“. Nur wenn mal jemand „erwischterweise“ im Rampenlicht steht, wie nun der Kollege Pfister, tun auf einmal alle so scheinheilig, als ob das ja also völlig unmöglich sei und nicht journalistischer Standard.

    Berechtigt ist es durchaus, heutige journalistische Praktiken in Frage zu stellen, ob die massive Übernahme von PR oder die Vermischung von Reportage und Feature. Nicht berechtigt ist es, dazu einzelne Kollegen herauszupicken und an einen Pranger zu stellen und insgeheim zu grinsen „gut daß keiner weiß, daß ich auch…ich bin nur nicht so blöd, damit bei einem Wettbewerb teilzunehmen, hähä…“.

    Das ist, was mich (und Dich) an diesem Fall so stört. Was mich auch an der Guttenberg-Sache teilweise störte. Wenn ich höre, daß nun in UK ein Portal eingerichtet wird, um zu prüfen, wo Kollegen PR-Meldungen genutzt haben, um dann diese namentlich anzuschwärzen…das ist definitiv nicht der richtige Weg!

  2. Nun, das ist doch symptomatscih für den aktuellen Trend: Und wenn man im Jahr 600 Texte schreiben muß, fließbandtippen und -klicken, bis der Mausarm glüht, die Qualität hat gefälligst zu sein, als ob man 4 Wochen Zeit gehabt hätte für eine Story.

    Und der Wolf Journalist ist des Journalisten Feind geworden, alles hofft hämisch darauf, Schwachstellen bei den Kollegen zu finden und diese öffentlich bloßzustellen.

    Von daher nur konsequent, hier erst einen 1. Platz zu vergeben und dann neidisch über den Preisträger herzuziehen und ihm den Preis wieder wegzunehmen.

    Abgesehen davon, wenn er es nicht selbst gemacht hätte, dann hätte ihm garantiert ein Redakteur einen „szenischen Einstieg“ („als Herr Schnittenfittich müde von der Arbeit heimkam, seine schweinslederne Aktentasche sorgfältig abstellte und die Designer-Fernbedienung zu seinem schicken neuen Fernseher suchte, um die dreiundneunzigste Folge von „DSDS“ zu gucken, passierte plötzlich etwas ganz Unerwartetes und Schreckliches:…“) vor die Story gesetzt. In meiner Zeit bei … (der Name der Zeitschrift tut hier nichts zur Sache, da wir ja nicht über konkrete Kollegen herziehen wollen — ujf) hatte ich genau einmal selbst einen (echten) szenischen Einstieg zu einer Story geliefert – der Textchef warf ihn raus und schrieb einen anderen, erfundenen, so wie sich das heute gehört.

    „Merkelin-Lok“: LOL

    „reporterhaft“: Du meinst sowas?

    Nein, denn auch wenn Schälike sich als Reporter sehen und einen Discount-Presseausweis sein Eigen nennen mag, würde ich doch eher von Bloggerhaft oder Kommentatorenhaft als von Reporterhaft sprechen. Im Übrigen macht man mit Namen keine Schertze, schon gar nicht mit denen bekannter Anwälte. Ein paar weitere Provokationen in dem Text von XN sind im übrigen genau dies – und damit unnötig. Es gibt Nachrichten, die kommentieren sich selbst, ohne dass einer an der Schmähgrenze entlangrobben müsste. — ujf

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