40 Millionen € für das Aus der FTD…

…sind eine Menge Holz.

Ich weiß jetzt nicht, was neben Abfindungen an Nebenkosten in dem Betrag steckt, aber die Größenordnung liegt bei mehr als 100.000 € pro Redaktionsmitglied (also weit mehr als einem durchschnittlichen Journalistengehalt) oder dem kumulierten Defizit mehrerer Jahre.

Die freien Mitarbeiter bekommen keinen Cent, dafür aber Konkurrenz durch die Geschassten, die noch keinen neuen Job haben und hoffen, dass bleibt, wer schreibt. Alle verlieren also – die einen die gut bezahlte Festanstellung, Verlag und Freie Geld. Klarer Fall von Managerismus.

Was wäre die Alternative (gewesen)?

Wo Anzeigenabteilungen von Profit Centers zu Loss Centers degenerieren, ist es schlau, das anzeigenlastige Geschäftsmodell zu verschrotten und dem Leser eine gute und eine schlechte Nachricht zu präsentieren. Die Gute: Jetzt ist ER der Kunde, er ist nicht mehr das Vermarktungsobjekt, das dem Inserenten verkauft wird. Die Schlechte: Er muss mehr bezahlen. Aber nicht so viel mehr, dass er Verluste im bisherigen Umfang ausbügeln müsste. Schließlich fielen nicht unerhebliche Kosten weg: Gehälter und Provisionen für Anzeigenleute, Druck und Papier für Bordexemplare, Eigenanzeigen und Agenturen, deren austauschbare Meldungen eh gratis im Netz stehen und bereits gelesen sind, wenn das Blatt kommt.

Die Zeitung würde sich beschränken auf exklusive Inhalte exklusiver Autoren, denn dies allein ergibt einen USP. Sie wäre wahlweise als analoge Morgenzeitung oder schon als digitale Abendzeitung zu haben (diese Idee von Steffen Klusmann war ja nicht blöd). Sie würde die hechelnde, oberflächliche, sekundengetaktete, spekulanten-zentrierte Börsenaktualität anderen (im Netz) überlassen und sich auf die eigentlich relevanten Themen konzentrieren: Was machen welche Unternehmen, welche Wirtschafts- und Finanzpolitiker weshalb richtig oder falsch? Was muss ein von Wirtschaft betroffener Mensch wissen, eben nicht nur als Aktionär, sondern auch als Unternehmer, Angestellter oder Kunde, um die richtigen Entscheidungen zu treffen?

Dabei muss die Zeitung keineswegs anzeigenfrei sein: Wer erkennt, dass er ein hochwertiges (sogar höherwertiges) Werbeumfeld vorfindet, kann über ein Web-Interface Do-It-Yourself Anzeigen buchen, zu exklusiven Preisen. Die Zielgruppenhuberei der viel zu einflussreichen Mediaagenturen passt nicht mehr in die Zeit. Sie ist im Gegensatz zum Journalismus wirklich obsolet.

Das neue Wirtschaftsblatt wäre eine Art Apple-Zeitung: Die Redaktion verkauft sich lieber über als unter Wert. Apple-ähnlich sähe auch die Vermarktung der Digitalausgabe aus: Wie bei iTunes kauft man per Mausklick das Album, das heißt die komplette Zeitung des jeweiligen Tages, oder etwas teurer einzelne Artikel (Songs). Statt Reinhören gäbe es einen Teaser, dem man den Autor und die Länge des Beitrags entnehmen kann.

Das kombiniert man mit Best-rate- oder Airbag-Tarifmodellen von Mobilfunk-Vermarktern wie Drillisch oder Simyo: Wer zu einer relativ teuren Tagesflat reinschnuppert und dann mehr nutzt, zahlt im Monat nicht mehr als die Monatsflat. Es wird also immer zugunsten des Kunden abgerechnet: Wer sich nur langsam zu einem „guten“ Kunden entwickelt, zahlt unter dem Strich auch nur den Vorzugspreis für gute Kunden. Leserkommentare kann jeder im Internet lesen (sie machen auch neugierig auf den Artikel und dienen so als virales Marketing), schreiben dürfen aber nur Abonnenten, die den Monatsbeitrag bezahlt haben.

Auf solche Modelle ist bei Gruner leider keiner gekommen. Für 40 Millionen hätte man viel experimentieren können, zum Beispiel wenn man mit dem Betriebsrat ausgehandelt hätte, dass das dafür bereitgestellte Spielgeld dann eben nicht in Abfindungen fließen wird, wenn es doch schief geht. Wenn die Kollegen im Hamburg schlau sind, gründen sie eine Genossenschaft und nehmen die Abfindung als Startkapital. Gebrauchtes Equipment für die Redaktion kann man sicher am Baumwall günstig erwerben, und auch Gruner+Jahrs/Bertelsmanns Druckereien wären über einen Auftrag, der ihnen ein bisschen Deckungsbeitrag sichert, wohl nicht unglücklich.

Sollte dieses Konzept – das hier nur in ganz groben Zügen umrissen ist – umgesetzt werden, hätte ich allerdings gerne eine angemessene finanzielle Anerkennung. Ich bin nämlich einer der Freien auf dem schrumpfenden Markt, auf den jetzt schlagartig rund 300 Mitbewerber losgelassen werden – nicht gerechnet die regelmäßig tätigen freien Mitarbeiter.

Nachtrag: 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wenn Ihr Euch aufrafft, an einem Strang zu ziehen und auf den Ruinen der FTD einen Verlag der Autoren zu gründen, packe ich gerne mit an. Wenn ich einen Geldgeber hätte, würde ich’s ja selber angehen. Dieses Land braucht in diesen Zeiten an gutem Wirtschaftsjournalismus nicht weniger, sondern mehr.

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6 Antworten auf „40 Millionen € für das Aus der FTD…“

  1. Warum Schwarz-sehen? Die freigesetzten Redakteure und armen Freien können es ja noch als Gourmet-Reise-Blogger versuchen, bevor sie zum Altenpfleger umschulen.

  2. Moin Ulf,
    interessante Ansätze hast Du da, die sich auch durchaus sehr sympathisch anhören. Über die Auswirkungen der Schwemme an zusätzlichen Journalisten auf dem Freelancer-Markt gebe ich Dir absolut recht. Ich habe schon von Journalisten gehört, die sich als Masseur bzw. Altenpfleger haben umschulen lassen, weil sie keine Zukunft in dem Beruf gesehen haben, den sie mal studiert und gelernt haben…
    Leider funktioniert hierzulande das Crowdfunding oder gar Spenden-/Donate-Konzept nicht so richtig. Die US-Amerikaner sind da wesentlich aufgeschlossener, so dass ein Donate-Button von PayPal oder ein Flattr-Button auch was bringen. Hier sind das eher Ausnahmen.
    Mal sehen, wie sich das jetzt weiter entwickelt.
    Herzlichst,
    Götz

  3. Lieber Herr Froitzheim!

    Toller Artikel und die richtigen Gedanken. Interessant zum Thema bezahlter (in diesem Fall: Foto-) Journalismus ist das Konzept von emphas.is (www.emphas.is), bei dem via Crowdfunding interessante Reportagen zustande kommen. Ein Interview mit den Machern und ihren Motiven ist dieser Tage auf gruenderszene.de erscheinen: http://www.gruenderszene.de/interviews/emphas-is-crowdfunding-journalismus

    Viele Grüße
    Veit Mathauer, Sympra GmbH (GPRA)

    (Disclaimer: Meine Agentur Sympra unterstützt emphas.is pro bono.)

    1. Lieber Herr Mathauer,

      sicherlich sind Crowdfunding-Ansätze ein sympathischer Ansatz. Jedes Projekt, das so zustande kommt, ist besser als nichts. In der Praxis kann das aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein. Gerade bei rechercheintensiven Geschichten, deren Ausgang offen ist, lässt sich kaum im Vorfeld Fundraising treiben. Je mehr Erwartungen der Investigativreporter weckt – natürlich unspezifisch und vage, weil er sonst schlafende Hunde weckt – desto größer ist nachher die Enttäuschung, wenn die Story dann nicht der erhoffte Knaller wird.

  4. Social Punk nennt ein paar Zahlen. Die Werbung bewertet er über, weil nur die Brutto-Werbeerlöse bekannt sind, die weit über den tatsächlich beim Verlag hängen bleibenden Zahlen liegen. Sinnvoll wäre, die Rechnung von den Kosten her aufzumachen: Was kostet eine Redaktion, wenn die Redakteure sich mit Tarifgehältern begnügen oder gar à la taz selbst ausbeuten? Besser als vielen Freien würde es ihnen immer noch gehen.
    Außerdem wird ein Teil der Betroffenen andere berufliche Optionen haben. Auch mit 200 Redakteuren könnte man eine anständige Wirtschafts-Tageszeitung stemmen, die sich des reinen Chronistenjobs erledigt, soweit diesen Reuters, Bloomberg & Co. bereits gut abdecken und das online für lau zu lesen ist. So düster wie beim Social Punk muss die Zukunft nicht aussehen, wenn man etwas kreativ an die Sache herangeht.

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