Fernsehen war mal eine simple Sache. Die Digitalisierung macht‘s zur Wissenschaft.
Wir sitzen den ganzen Tag am Computer, und was machen wir abends? Wir wechseln von der „Lean-Forward-“ in die „Lean-Back“-Position, hocken uns also etwas gemütlicher vor einen anderen Bildschirm. Dank Breitbandanschluss könnten wir gleich am Schreibtisch bleiben und die Nachrichten, die Show oder den Spielfilm auf dem Monitor oder Laptop-Display anschauen. Wir müssten auch nichts dann sehen, wenn es läuft. In der Mediathek läuft es, wann wir wollen – die eine oder andere „Sendung“ sogar schon vor ihrer Ausstrahlung. Warten bis zur Sendezeit? Eigentlich eine Zumutung in einer Zeit, in der niemand mehr die Aussage paradox findet, etwa 15 Prozent der Fernsehzuschauer hätten schon keinen Fernsehapparat mehr.
Zu 85 Prozent tun wir allerdings noch immer das, was wir immer getan haben, denn der Genuss eines Kinofilms oder Fußballspiels auf einem mickrigen Laptop-Bildschirm ist so erquicklich wie der eines T-Bone-Steaks mittels Plastikbesteck auf einem Mittelplatz im vollbesetzten Billigflieger. Das heißt aber nicht, dass wir Gewohnheitstiere allesamt glücklich mit unserer Glotze wären. Im Gegenteil. Als die Ära des analogen Fernsehens zu Ende ging, habe ich mich standhaft geweigert, ein neues Gerät zu kaufen. Ich pfiff auf alle Verheißungen des digitalen Fortschritts, denn die Verkäufer konfrontierten mich erst einmal mit der Frage, ob ich gedächte, während der Lebensdauer des neuen Kastens umzuziehen. Früher war das kein Thema. Alle Apparate hatten einen Einheitstuner, der überall funktionierte. Mit dem Digital-TV kamen vier Sorten Apparate: spezielle Modelle für Kabel (DVB-C), Astra (DVB-S) und terrestrischen Digitalfunk (DVB-T) sowie teurere Allroundgeräte für moderne Nomaden, die eine Weile in einem Haus mit Kabelanschluss leben und dann sich wieder in der Pampa einmieten, wo man ohne Satellitenschüssel mit dem Ofenrohr ins Gebirge guckt. Man musste aufpassen, ob der Flachmann echtes Full-HD hat, und sich schlau machen, wie clever seine so genannten Smart-TV-Funktionen wirklich sind. Wenn dabei noch kein Haken zu entdecken war, begann das Grauen beim Anblick der Fernbedienung – oder des Elektronischen Programmführers (EPG), mit dem es angeblich kinderleicht war, Videos auf die USB-Festplatte zu speichern.
Mittlerweile steht auch in unserem Wohnzimmer ein Full-HD-Smart-TV mit Triple Tuner (wir dürften umziehen!) und Internet-Connection, denn der alte Röhrenfernseher tat es nicht mehr. Theoretisch können wir damit via EPG bequem jede Sendung auf eine 2-Terabyte-Festplatte im Format einer Tafel Ritter Sport aufzeichnen. Die Bildqualität ist auch super, obwohl wir uns kein Ultra-HD alias 4k geleistet haben – eine Norm, die eh spätestens dann veraltet sein wird, wenn ARD und ZDF ihre Kameras und Studios auf die neue Sendetechnik umgerüstet haben.
Also Happy End? Mitnichten. Ich habe nämlich den so altmodischen wie unverschämten Anspruch, eine programmierte Sendung vollständig archivieren zu können. Der EPG gaukelt mir vor, er nehme mir den Film oder die Show auf, die ich angeklickt habe. In Wirklichkeit speichert er das, was exakt zur offiziellen Sendezeit läuft, im ZDF also den verspäteten Wetterbericht plus drei nervige Programmhinweise plus die ersten 92 Prozent der Sendung. Die Wiedergabe des Fragments funktioniert natürlich nur auf diesem Fernseher. Schließt man die Festplatte an den PC an, will dieser sie formatieren.
Die abgeschnittenen acht Prozent kann ich nicht einmal per Smart-TV aus der Internet-Mediathek auf den Fernseher laden, denn die App bietet nur Zugriff auf Nachrichtensendungen. Also muss ich mich für die Schlussszene ans Notebook setzen und sie in klein ansehen – oder zusätzliche Hardware kaufen, die das Bild vom PC auf den TV beamt. So löst digitale Technik ein Problem, das es in der analogen Steinzeit nicht gab. Damals schaltete ein kleines Signal namens VPS den VHS-Rekorder pünktlich ein und aus. Zugegeben: Bild- und Tonqualität waren etwas für Masochisten. Was die unheilige Allianz aus TV-Herstellern und Sendern heute mit uns macht, ist allerdings purer Sadismus.
Sie sind der oder die 685. Leser/in dieses Beitrags.