Eines muss ich unserer Konkurrenz von den Freischreibern lassen: Sie haben 2016 (besser spät als nie) begriffen, dass sich eine Autorenvereinigung in Deutschland für die VG Wort interessieren muss, also für die Verwertungsgesellschaft, die Jahr für Jahr einen dreistelligen Millionenbetrag an Journalisten, Schriftsteller und Übersetzer verteilt. Viele Aktive bei uns im DJV haben das ebenfalls begriffen. Allerdings kann man auch Mitglied eines Landesvorstandes sein, wenn man das noch nicht verstanden hat. Glücklicherweise ist es eine Minderheit, die dem Missverständnis unterliegt, es handle sich um eine „fremde Organisation“. Ist die VG Wort einem Journalisten fremd, darf, nein, sollte er den Fehler bei sich selbst suchen.
Selbst unter denen, die wissen, dass dieser seltsame „rechtsfähige Verein kraft Verleihung“ irgendwie wichtig ist für die Mitglieder der eigenen Organisation, kommen freilich eklatante Missverständnisse darüber vor, wer warum wieviel Geld von ihm bekommt und wie der Laden überhaupt funktioniert. Dieses Phänomen ist auch bei anderen Autorenvereinigungen anzutreffen.
Deshalb erkläre ich es anlässlich des diese Woche anstehenden 60. Jubiläums der VG Wort und ihrer anschließenden Mitgliederversammlung noch einmal – quasi ein „VG Wort für Dummies“:
Die VG Wort ist eine Urheberorganisation, die komplementär ist zum Berufsverband bzw. der Gewerkschaft. Was sie für uns tut, können DJV, DJU in ver.di und Freischreiber nicht leisten. Während DJV und DJU für uns versuchen, höhere Gehälter und Mindesthonorare mit den Arbeit- und Auftraggebern auszuhandeln, verhandelt die VG Wort mit den Unternehmen und Institutionen, die laut Urheberrecht etwas für die Zweitverwertung unserer Texte bezahlen müssen.
Die VG Wort ist verbandsneutral. Qua Satzung gibt es keine institutionalisierte Zusammenarbeit. Autorenverbände können sich einbringen, aber eben nur über ihre persönlichen Mitglieder und dadurch, dass sie die Berufsgruppen durch Beistellung eines Juristischen Beraters unterstützen. Bei unserer Berufsgruppe, der 2, ist das DJV-Justiziar Benno Pöppelmann, bei der Berufsgruppe 1 (Schriftsteller, Drehbuchautoren, literarische Übersetzer) Wolfgang Schimmel, langjähriger Justiziar bei ver.di.
Als Textautor bekommt man auch dann Geld von der Wort, wenn man kein Mitglied ist. Dazu schließt man einen „Wahrnehmungsvertrag“, der die VG Wort ermächtigt, die Zweitverwertungsrechte des Autors treuhänderisch wahrzunehmen, sprich: für ihn Geld einzutreiben, beispielsweise die Geräteabgabe (früher: Kopiergeräteabgabe). Dabei arbeitet die VG Wort mit anderen Verwertungsgesellschaften zusammen: der VG Bild-Kunst und der GEMA.
Wer seit mindestens drei Jahren einen Wahrnehmungsvertrag hat und in dieser Zeit (genauer: den drei vergangenen Kalenderjahren) mindestens 1200 Euro an Tantiemen bekam, kann Mitglied werden und darf dann für ein Ehrenamt kandidieren. Er zahlt dann den lächerlichen Jahresmitgliedsbeitrag von 10 €, der Druck und Porto für den Versand der Unterlagen abdeckt, die er erhält. Außerdem darf man als Mitglied mitreden, mitentscheiden, mitwählen. Die schönste Entscheidung ist es, einen Verteilungsplan mit vielen Millionen Euro Ausschüttung zu genehmigen. Davon habe alle etwas, die Mitglieder und die Wahrnehmungsberechtigten gleichermaßen. Allein die Mitgliedschaft in der VG Wort zu beantragen, ist bereits ein kollegialer Akt im Interesse der übrigen Autoren im Allgemeinen beziehungsweise der Mitglieder des eigenen Autorenverbandes im Besonderen. Diese sind nicht immer einer Meinung, das ist okay. Man sollte aber als Mitglied eines Autorenverbandes schon darauf achten, dass dieser seine klügsten Köpfe schickt und keine Hitzköpfe. Ich hoffe, dass das inzwischen der Fall ist. (Wir werden es am Samstag in Berlin sehen.)
Das Mitreden, Mitentscheiden, Mitwählen kann allerdings eine anstrengende Sache sein, weil man sich dafür mit komplexen juristischen und wirtschaftlichen Zusammenhängen befassen und an schönen Frühsommersamstagen in düsteren Tagungssälen hocken muss. Wenn man keine Zeit oder keine Lust hat, kann man den Job auch delegieren und seine Stimme einem Bevollmächtigten übertragen, der für insgesamt 10 Kolleginnen und Kollegen hingeht. Dieser bequeme Weg liegt vor allem dann nahe, wenn man zum Mitreden, Mitentscheiden, Mitwählen durch die halbe Republik fahren und dazu noch eine Hotelnacht bezahlen müsste. Die alternierenden Tagungsorte München und Berlin sind für Autoren aus der jeweils anderen Stadt – oder gar aus Saarbrücken oder Flensburg – nichts für einen Tagesausflug.
Leute, die zu solchen Reisen willens und zum Mitreden in der Lage sind, findet man fast nur in Autorenverbänden. Was man selbst in Autorenverbänden nicht findet, sind Leute, die außer der Zeit auch noch eigenes Geld mitbringen, um im Namen derer, die bequem zu Hause geblieben sind, mitzureden, mitzuentscheiden oder mitzuwählen. Deshalb tun Autorenverbände, die ja nach ihrem Selbstverständnis Solidargemeinschaften sind, gut daran, den Teilnehmern wenigstens die Reisekosten zu erstatten. Das gebietet nicht nur die Solidarität und Kollegialität, sondern der Anstand. Man widmet der gemeinsamen Sache Zeit (individuell) oder Geld (kollektiv).
Wenn der Verteilungsplan dann verabschiedet ist, bekommen die einen aus den großen Geldtöpfen mehr, die anderen weniger. Wer von der VG Wort wieviel bekommt, hat überhaupt nichts damit zu tun, wieviel Gehalt oder Honorar er erhält. Der Teufel scheißt hier selten auf den dicksten Haufen. Es gibt Leute wie mich, die sehr lange über sehr langen Texten grübeln und dafür vom Verlag ein ordentliches Honorar oder ein Tarifgehalt erhalten, aber von der VG Wort nur bescheidene Tantiemen für das Kopieren dieser Texte bekommen. Es gibt freie Fachzeitschriften-Autoren, die von der VG Wort ein Mehrfaches von dem kassieren, was sie mir überweist, für ihre Werke aber vom Verlag so mies honoriert werden, dass es der Sau graust. Dem Urheberrecht ist zu eigen, dass es manchmal ausgleichende Ungerechtigkeiten schafft: Die Tantiementöpfe werden aus unterschiedlichen Quellen gefüllt, und jeder kann nur aus „seinen“ Töpfen schöpfen.
Wenn einzelne Funktionäre von Autorenverbänden (egal ob bei uns oder anderswo) dennoch meinen, jemand mit hohen VG-Wort-Ausschüttungen müsse im richtigen Berufsleben auch Spitzenverdiener sein, wären sie gut beraten, bei solchen Themen einfach den Mund zu halten und denen zuzuhören, die wissen, wovon sie reden.
Noch Fragen?
Sie sind der oder die 4740. Leser/in dieses Beitrags.
Sie haben in Ihrer Darstellung nicht erwähnt, dass die VG Wort zuletzt heftig in die (berechtigte) Kritik geraten ist, weil sie – wie ja nunmehr nicht nur vom Bundesgerichtshof festgestellt, sondern auch vom Bundesverfassungsgericht bestätigt wurde – jahrzehntelang den Autoren (Urhebern) bis zu 50% der ihnen zustehenden Gelder (Ausschüttungen) vorenthalten und rechts- und treuwidrig den Verlagen zugeschustert hat.
Meine Sie nicht auch, dass das in einer seriösen Darstellung der VG Wort Erwähnung finden sollte? Als Autor wünsche ich mir jedenfalls, dass mir auch die Schattenseiten der VG Wort nicht verschweigen werden, ich will ja wissen, wem ich da treuhänderisch meine Rechte zu Wahrnehmung anvertraue.
Und ja, wie sie ja schon wissen, vertrete ich als Rechtsanwalt Urheber-Interessen, aber auch die Interessen von IT-Unternehmen, die u. U. die Geräte- und Speichermedienabgaben nach §§ 54 ff. UrhG an die VG Wort zu bezahlen haben, und für die ich nötigenfalls mittels Schiedsstellen- und Gerichtsverfahren zu erreichen versuche, dass sie nur dasjenige an die VG Wort u.a. zu bezahlen haben, was sie nach dem Gesetz auch tatsächlich schulden. Ich meine dennoch nicht, dass ich deswegen zum Thema „Rechts- und treuwidrige Verteilungspraxis der VG Wort“ (die mich selbst betrifft, aber auch diverse Autoren, die ich berate/vertrete) den Mund halten muss und nur denen zuhören darf, die vorgeben zu wissen, wovon sie reden und schreiben.
Ich finde es amüsant, dass Sie Seriosität anmahnen. Über Ihren massiven Interessenkonflikt brauche ich keine weiteren Worte zu verlieren. Das viele Geld, das die Autoren, Fotografen und Komponisten in den vergangenen Jahren infolge von Nachzahlungen der Geräteindustrie erhalten haben, spricht für sich.
Die IT-Unternehmen hatten alles versucht, um gratis bzw. billigst aus der Nummer herauszukommen. Mit der letztlich erfolgreichen Interpretation der Gesetzeslage waren sie überhaupt nicht zufrieden. Wie Sie wissen, wollten die Urheber nie die vollen 100 Prozent von „nix mehr“.
Was auch nicht unerwähnt bleiben sollte:
– Nach dem Urteil hat der Bundestag eine neue gesetzliche Grundlage für eine Verlegerbeteiligung geschaffen.
– In der Begründung des Urheberrechtsparagrafen, der im Mittelpunkt des Prozesses stand, hatte der Gesetzgeber ebenfalls die Absicht dokumentiert, den Verlegern einen Anteil an den Einnahmen zu gewähren.
Und der Vorwurf der angeblichen Treuwidrigkeit, der per definitionem sogar die Mitglieder einschließt, die alle Verteilungspläne beschlossen hatten, ist schon dreist.
P.S.:
Noch eine Klarstellung: Das mit dem Schweigen und Zuhören bezog sich auf die Ansicht, „jemand mit hohen VG-Wort-Ausschüttungen müsse im richtigen Berufsleben auch Spitzenverdiener sein“. Wie nennt man noch mal Anwälte, die einem die Worte im Mund verdrehen? Ich glaube, das Wort fing genauso an wie die Langform von RA.
Gerne.
Darf ich Dir unter Deinen Text ein Smilie und ein «Well Done» setzen?