VG Wort: Hier wird nichts verschenkt

So schön es ist, dass mehr Kollegen das Urheberrecht für sich entdeckt haben, so schade ist es, dass manche von ihnen zu „meinem“ Thema fantasievolle Beiträge leisten, für deren Lektüre man – freundlich formuliert – einen robusten Humor braucht.

Wer männlich und 60plus (ein paar Monate) ist und keinen Migrationshintergrund hat, der ist was? Richtig, ein alter weißer Mann (AWM™). Wo dieses Stereotyp auftaucht, ist gemeint: Da ist jemand, der zum alten Eisen gehört und am besten die Schnauze hält, weil er – wenn auch unverschuldet – drei Eigenschaften in sich vereint, die ihn zumindest in dieser Kombination disqualifizieren. Das war anfangs durchaus lustig, weil ein paar meiner Altersgenossen durch ihre altväterlichen, arroganten, machohaften Sprüche intelligenten jungen Frauen (mit oder ohne dunkleren Teint) gute Gründe für den Stoßseufzer geliefert hatten. Franz Josef Wagner ist quasi der Prototyp des AWM, denn er bedient das Klischee des Kerls, der nicht mehr lernt und nicht mehr lernen will, in welcher Welt wir leben, ständig aufs Neue.

Rein formal bin ich natürlich auch ein AWM. Aber noch nie hat mich eine junge Frau so genannt. Bis zum Rentenalter (siehe Screenshot) muss ich noch fünfeinhalb Jahre arbeiten. Ich denke auch nicht, mich wagnerhaft benommen zu haben. Deshalb war ich in jeder Hinsicht überrascht, als mich neulich mein Kollege und Zeitgenosse Peter W. öffentlich so titulierte. Glaubt man seinen Tweets, bin ich nicht nur ein AWM, sondern sogar einer, der „das Geld der Autoren“ – meines, seines, Ihres? – den Verlegern schenkt und sich eine Zensur des Internets herbeiwünscht. Dass er mich nicht als Masochisten darstellt, der sich wie ein Flagellant täglich die Geißel über den Rücken zieht, ist alles.

Um das bemerkenswerte Kommunikationsverhalten des Kollegen W. einordnen zu können, sollte man wissen, dass er ein weißer Mann ist, aber noch nicht alt. Erst nächstes Jahr stößt er an die unsichtbare Grenze, die Alt von Jung trennt, diese Schallmauer mit der großen 60 drauf. Vielleicht will er das Stereotyp unbedingt noch benutzen, solange es für ihn noch nicht zu spät dafür ist. Kraft meiner frisch erworbenen Altersweisheit und eingedenk der weiteren Umstände tendiere ich indes zu der Einschätzung, dass W. ein verkannter Witzbold ist, einer mit Hang zur Selbstironie und skurrilem Humor. Otto Waalkes hat ja einst auch Ostfriesenwitze gerissen.

So eine altweißmännliche Koketterie hätte man zwar gar nicht erwartet bei einem Menschen, als dessen Markenzeichen seine straff nach Süden deutenden Mundwinkel gelten. Aber wahrscheinlich schaut W. (also Peter …, nicht …aalkes) absichtlich so verbissen, damit man nicht sofort merkt, was für ein Schalk ihm im Nacken sitzt. Als Jungsenior in spe ist er einerseits ein fleißiger Twitter-Nutzer, der gerne Retweets seiner Tweets retweetet oder Tweets liket und retweetet, die ihm gefallen; andererseits scheint er bis zum Liken und Retweeten manchmal schon vergessen zu haben, dass er den jeweiligen Original-Tweet selbst geschrieben hatte. Ich lese dann in meiner Timeline: „Peter W. gefällt ein Tweet, in dem Du erwähnt wurdest“ oder „Peter W. hat einen Tweet geteilt, in dem Du erwähnt wurdest“.

Das Dumme ist, dass nicht wenige KollegInnen W.s Tweets und seine sonstigen Einlassungen rund um die Urheberrechtsreform, die VG Wort und unseren gemeinsamen Berufsverband – den DJV – für bare Münze nehmen. Denn im Gegensatz zu Martin Sonneborn oder dem Postillon macht er es einem Nicht-Insider nicht leicht, den absurden Witz seiner Beiträge zu erkennen. Das wiederum könnte daran liegen, dass die Materie, um die sich seine kabarettistischen Bemühungen drehen, von Haus aus eher dröge und ziemlich unspaßig ist.

Was also steckt dahinter, wenn der Kollege anlässlich der derzeit laufenden Jahres-Hauptausschüttung der VG Wort twittert, der DJV und sein Vorsitzender forderten, den Autoren einen Teil davon wieder wegzunehmen, „der Herr Froitzheim“ verschenke „das Geld der Urheber großzügig an die Verleger“ und habe „als Verwaltungsrat der VG Wort die Interessen der Urheber für ein Linsengericht verraten“? Warum ist all das lachhaft, lächerlich oder auch zum Wiehern? Machen wir einfach mal ein Fact-checking.

– Wer als Autor in diesen Tagen in den Briefkasten, ins TOM-Portal oder auf sein Konto schaut, hat gute Chancen, eine Summe zu lesen, die seine Laune hebt. Denn die laufende Ausschüttung setzt sich aus laufenden Einnahmen und einer Auflösung von Rückstellungen zusammen. Niemandem wird davon auch nur ein Cent weggenommen. Frank Überall und ich haben auch nie Derartiges gefordert. Es geht eigentlich um etwas völlig anderes (s.u.), aber für einen Knaller-Gag kann man ja schon mal die Tatsachen verdrehen. (Jedenfalls sofern man W. heißt. Für die Worte von DJV-Aktiven hat der Mann stets eine Goldwaage zur Hand.)

– Die Idee, eines von 22 Verwaltungsratsmitgliedern hätte die Macht, über Gelder zu verfügen oder sie gar zu verschenken, zeugt von einer blühenden Phantasie. Mich würde aber noch interessieren, warum der Verfasser hier einen Remix aus dem Trottel Esau (Genesis 25,29-34) und dem Denunzianten Judas (Lukas 22,3) darbietet. Dass man mich weder mit einem Teller roter Linsen …

29 Eines Tages – Jakob hatte gerade ein Linsengericht gekocht – kam Esau erschöpft von der Jagd nach Hause. 3»Lass mich schnell etwas von der roten Mahlzeit da essen, ich bin ganz erschöpft!«, rief er. Darum bekam er auch den Beinamen Edom (»Roter«). 3»Nur wenn du mir dafür das Vorrecht überlässt, das dir als dem ältesten Sohn zusteht!«, forderte Jakob. 32 »Was nützt mir mein Vorrecht als ältester Sohn, wenn ich am Verhungern bin!«, rief Esau. 33 Jakob ließ nicht locker. »Schwöre erst!«, sagte er. Esau schwor es ihm und verkaufte damit sein Recht, den größten Teil des Erbes zu bekommen, an seinen jüngeren Bruder. 34 Jakob gab ihm das Brot und die Linsensuppe. Esau schlang es hinunter, trank noch etwas und ging wieder weg. So gleichgültig war ihm sein Erstgeburtsrecht.

… noch mit einem Beutel Silberlinge korrumpieren kann, brauche ich hoffentlich nicht eigens zu betonen.

– Die Idee, eines von fast 1000 stimmberechtigten Mitgliedern der VG Wort hätte die Macht, über Gelder anderer Leute zu verfügen oder sie gar zu verschenken, ist der Schenkelklopfer des Tages. Tja, ich bin seit einem Monat einfaches Mitglied, denn ich habe nicht mehr für den Verwaltungsrat kandidiert. Übrigens frage ich mich, wieso man Peter W. bei den Versammlungen und Wahlen nie sieht. Er bekäme Informationen aus erster Hand, aber wahrscheinlich weiß er schon vorher alles (besser).

– Running Gag bei Peter W. ist es, seinen eigenen Berufsverband, den DJV, wegen angeblicher Fehler rund um die VG Wort anzuschießen (siehe Screenshot). Spoiler: Autorenverbände als solche hatten noch nie eine Stimme in der VG Wort. Der DJV darf keine Vertreter entsenden, weshalb auch seine Gremien keinerlei Mandat haben. DJV-Mitglieder, die sich in der VG Wort engagieren, tun dies allein in ihrer Eigenschaft als VG-Wort-Mitglieder, ohne dass ihnen irgendein Funktionär oder gar der Bundesvorstand hineinreden dürfte. Es hat bei mir auch nie jemand versucht. Immerhin ist der Bundesvorsitzende fachlich kompetent, doch formale Kompetenzen hat nicht einmal er. Das Abstimmungsverhalten eines Verwaltungsrats seinem Verband zuzuschreiben, ist somit ein echter Witz.

– Dass jemand, der ausschließlich von außen auf die VG Wort schaut, mir jetzt darin nacheifert, Mitgliederwerbung zu treiben, belustigt mich. Hörer seines Podcasts sollten aber im Hinterkopf behalten, dass sie einem Mann lauschen, der seine investigative Nase noch nie hinter die Kulissen dieser Verwertungsgesellschaft gesteckt hat. Wer wirklich wissen will, was läuft, fragt wohl doch besser mich.

– Aufhänger der meisten kabarettistischen Tweets ist die Urheberrechts-Richtlinie der EU, deren Artikel 16 den Mitgliedsstaaten erlaubt, in ihren Urheberrechtsgesetzen eine Beteiligung von Verlegern an den Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften zu ermöglichen, sofern denn eine solche früher bestanden hatte. Jetzt kann der Bundestag insofern den einstigen Status quo wiederherstellen, als der Mitgliederversammlung der VG Wort grundsätzlich erlaubt wird, feste Quoten für die Verleger in den Verteilungsplan zu schreiben. Wie hoch diese Quoten sein werden, weiß heute niemand. Sie müssen für jeden der in Frage kommenden Einnahmetöpfe einzeln neu ausgehandelt und mit Zustimmung aller drei Autoren-Berufsgruppen beschlossen werden. Das kann frühestens 2020 geschehen. Wenn bis dahin nicht alle Mitglieder unter den Autoren ihre Hausaufgaben machen und lernen, wie existenziell wichtig es ist, zu einem Konsens zu finden (siehe nächster Spiegelstrich), kann das echt noch lustig werden.

– Was W. und andere apodiktisch als „das Geld der Urheber“ bezeichnen, war seit 1958 das Geld der Urheber und der Verleger, bis der BGH nach einer handwerklich verpfuschten Gesetzesänderung entschied, eine pauschale Beteiligung der Verlage sei auf der derzeitigen Rechtsgrundlage unzulässig, obwohl in der Begründung des Gesetzes ausdrücklich der Wille des Gesetzgebers dokumentiert ist, eine Verlegerbeteiligung zu gewährleisten. Den Hörfunk-Mann W. selbst betrifft das übrigens nicht, denn die Rundfunkanstalten, für die er arbeitet, sind nun einmal keine Verlage, so dass ihm nie etwas abgezogen wurde. Er bekam und bekommt auch künftig volle 100 Prozent. Dass derzeit so gut wie alles Geld den Urhebern gehört, ist also Richterrecht, das exakt so lange gilt, bis der Bundestag eine neue (und dann hoffentlich klare) Rechtslage schafft. Beteiligt er die Verleger wieder an den Einnahmen der VGs, stellt er einen Zustand wieder her, der den Fortbestand der VG Wort dauerhaft sichert. Der europäische Gesetzgeber hätte den (Buch-) Verlegern die Einbußen, die ihnen durch erlaubte Kopiervorgänge entstehen, theoretisch auch durch ein separates Leistungsschutzrecht kompensieren können. Unter so einem Konstrukt wäre ebenfalls ein Teil des zu verteilenden Kuchens bei den Verlegern gelandet. Lachende Dritte wären die Zahlungspflichtigen gewesen, also die Gerätehersteller und Bibliotheken, die versucht hätten, die separaten Autoren- und Verleger-VGs nach dem Motto „Divide et impera“ gegeneinander auszuspielen.

– Peter W. verbreitet auch gerne, Befürworter der EU-Richtlinie wie Frank Überall und ich redeten der Zensur das Wort:

An der Stelle wäre im Prinzip Schluss mit lustig, denn einem Kollegen zu unterstellen, er sei für Zensur, ist schlichtweg versuchter Rufmord. Das, was der Mann Zensur nennt, ist allerdings nicht, was Zensur bedeutet – das wäre die Verpflichtung, Texte vor Veröffentlichung einer Behörde zur Genehmigung vorzulegen. Er verwendet den Begriff ähnlich ausufernd wie die Alarmisten aus dem Dunstkreis um die ehemalige Piraten-Abgeordnete Julia Reda und die Brüsseler Lobbyisten der Plattform-Riesen von der US-Westküste. In dieser von Libertären und Cypherpunks gepflegten Lesart ist das First Amendment der U.S. Constitution der Maßstab, nicht das Grundgesetz mit den in Art. 5 definierten Schranken. Schon das gesetzliche Verbot der Verbreitung von gewaltverherrlichenden Texten und Bildern wird in den USA gerne mal als „Censorship“ beschimpft.

– W. geht zwar nicht so weit, dafür hat seine Argumentation durchaus Unterhaltungswert – nach dem Motto: „Widersprich nie dem Kollegen W.! Warte einen Moment, dann tut er es selbst.“ Aus der von ihm geteilten Hypothese, die Lizenzpflicht für große kommerzielle Internet-Plattformen lasse sich nur mittels „Uploadfiltern“ zur automatischen Blockade nicht lizenzierter Werke durchsetzen, leitet er kurzerhand ab, alle Befürworter der EU-Richtlinie seien für Zensur. Nun fordert er eigentlich selbst ein Ende der unlizenzierten Nutzung seiner Werke durch Plattformen wie Youtube, also genau das, wofür Art. 17 den Weg ebnen soll. Dass er dann auf einer Demo gegen die Richtlinie agitiert, ist echt der Brüller, wenn man bedenkt, dass Filtersoftware bei Facebook, Youtube und anderen längst im Einsatz ist, dass Zensur gemäß W.’scher Definition also bereits stattfindet, und dass ebendiese Branchenriesen die großen Nutznießer gewesen wären, wenn die Richtlinie denn auf Druck der veröffentlichten Meinung von W. und Kollegen nicht verabschiedet worden wäre. Amüsant ist auch, dass er mich als „Ulf Uploadfilter Froitzheim“ tituliert, obwohl ich nie so etwas gefordert habe.

– Um seinen Wasch-mir-den-Pelz-aber-mach-mich-nicht-nass-Standpunkt zu untermauern, führte W. wiederholt ein Beispiel dafür an, dass automatische Bilderkennung nicht funktioniere und quasi zur automatischen Sperrung harmloser Inhalte führen müsse (und bereits führe, was sein Argument, die Richtlinie sei zu verhindern, um Zensur zu verhindern, endgültig ad absurdum führte):

„Bei Fotos werden bildbestimmende Farben und Elemente zu einer Prüfsumme verrechnet. So erstellt etwa ein Filter von Microsoft einen digitalen Fingerabdruck eines Fotos. Das Verfahren ist zum Beispiel eingesetzt worden, um zu verhindern, dass Fotos von Taliban-Führern auf Plattformen hochgeladen werden. Als Folge wurden bei Facebook, die dieses Verfahren einsetzen, viele Fotos von Neugeborenen blockiert, weil sie angeblich terrorverdächtig sind. Bei genauerer Analyse liegt das daran, dass Babies und Taliban mit sehr vielen weißen Textilien bedeckt sind. Das führt dann zu einer Übereinstimmung bei der Prüfsumme.“

(aus: DJV-Blickpunkt Baden-Württemberg)

– Terrorverdächtige Babies – das ist tatsächlich der Kracher, darüber lacht der Online-Stammtisch. Doch in diesen paar Sätzen geht mit den Erklärungen und Begrifflichkeiten wirklich alles drüber und drunter. Hashwerte zu erstellen, ist kein Filtern, sondern eine Art Etikettieren. Man kann jedoch anhand dieser Etiketten filtern. Richtig ist, dass Microsoft vor zehn Jahren ein Projekt am Dartmouth College unterstützt hat, bei dem es darum ging, kinderpornografische Fotos wiederzuerkennen, selbst wenn sie bearbeitet worden waren. Sehr viele weiße Textilien waren da eher nicht im Bild. Die hierfür entwickelte Software heißt PhotoDNA und wurde tatsächlich bei Twitter und Facebook eingesetzt. Dazu schrieb Basic thinking 2011:

„Damit wird natürlich nur bekanntes Material erfasst, das dann blockiert werden kann, damit der Vertrieb solchen Materials unterbunden wird.“

Fünf Jahre später entwickelte PhotoDNA-Schöpfer Hany Farid seine Scan-Software unter dem Namen eGLYPH für die transatlantische NGO Counter Extremism Project (CEP) weiter, die damit das Problem der ISIS-Köpfungsvideos in den Griff bekommen wollte. Seither drängen Farid und CEP-Chef Mark Wallace nachweislich immer wieder Facebook & Co., eGLYPH endlich einzusetzen. Dazu passt, dass es viele Quellen im Netz gibt, die sich mit dieser Software befassen, aber keine Hinweise darauf enthalten, dass Facebook das Verfahren je eingesetzt hätte. Fotos von Taliban-Führern werden nicht erwähnt; übereinstimmend ist zu lesen, dass es Farid und CEP um explizite Gewaltdarstellungen im ISIS-Kontext geht, die ganz gewiss nicht mit in Weiß gewickelten Babies zu verwechseln wären. Auch schärfste Kritiker der Technik erwähnen nichts von Neugeborenen, obwohl so eine kapitale Fehlfunktion für sie doch ein gefundenes Fressen gewesen wäre. Wären wirklich „viele“ Fotos von (vollbärtigen?) Neugeborenen blockiert worden, hätte das nicht genauso viele Schlagzeilen gemacht wie die KI-gestützte „Erkennung“ schwarzer Menschen als „Gorillas“? Selbst das ist aber ein alter Hut, das Problem ist behoben. Bilderkennungssoftware ist inzwischen beängstigend gut, so gut, dass man sich eher Sorgen machen sollte, ob sie nicht bald zu gut funktioniert. Stand der Technik ist seit Jahren nicht nur, per Mausklick Fotos von roten Autos oder blauen Kleidern abzurufen. Facebook erkennt sogar in neuen Fotos unsere Gesichter und die unserer Freunde. Wohin die Entwicklung führt, kann man in China besichtigen. Solange wir hier in der EU ungehindert unsere Blogs vollschreiben, fast jede Verbalinjurie twittern und auf Youtube die Erde als Scheibe darstellen können, ist die freie Meinungsäußerung nicht bedroht.

Langer Rede kurzer Sinn: Nein, natürlich will ich keine Zensur. Ich will sie weder im Netz noch offline. Und ich behaupte mit reinem Gewissen: Artikel 17 wird zu nichts führen, das im entferntesten das Etikett „Zensur“ rechtfertigen würde. Sinn der Übung ist es, dass die großen Plattformen den Urhebern per Pauschallizenz eine Entschädigung für die ungefragte Nutzung ihrer Kompositionen, Bilder und Worte bezahlen, und nicht etwa irgendetwas blockieren. Die kleinen Youtuber, die ihr selbstgedrehtes Video mit Musik hinterlegen oder fremde Bilder einblenden, gewinnen Rechtssicherheit. Aber ganz ehrlich: Zu einem Netz, wie ich es mir wünsche, gehört dann auch, dass Menschen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie die Freiheit im Netz missbrauchen, um zu Gewalt aufzurufen, zu mobben und zu stalken. Artikel 5 hat einen Absatz 2, und wer den schätzt, der fordert keine Zensur.

Anmerkung: Wenn ich hier den Namen des Kollegen abkürze, dann deshalb, damit ihn Google nicht erfasst. Es reicht völlig, dass diejenigen, die uns beide kennen, wissen, von wem die Rede ist. 

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3 Antworten auf „VG Wort: Hier wird nichts verschenkt“

  1. “ die Verpflichtung, Texte vor Veröffentlichung einer Behörde zur Genehmigung vorzulegen“

    Diese Verpflichtung findet statt, die Behörde, die die Texte genehmigen wird, existiert und nennt sich Google. Mit der neuen Urheberrechtsreform wird dem Online-User jedes Recht am eigenen Text genommen und Google überantwortet (oder zwangsweise irgendeiner VG, wenn man nicht widerspricht). Desweiteren wird dem user eines der wichtigsten Rechte genommen, in dubio pro re. Jetzt ist jeder User schonn bevor er etwas postet ein potentieller Verbrecher. Mir will nicht in den Kopf, was an dieser Rechteenteignung gut sein soll.

    1. Mit Verlaub, das ist wirres Zeug. Sortieren wir mal die Begriffe:
      Behörden haben hoheitliche Befugnisse, Google ist ein Privatunternehmen, mit dem sich niemand einlassen muss. Kein Mensch muss etwas bei YouTube hochladen. Es gibt Vimeo, man kann auch eine eigene Domain einrichten und Serverplatz mieten. Das Gerede von Zensur ist also kompletter Quatsch.
      Eine Genehmigung braucht auch niemand, der etwas im Netz publizieren will. Er muss sich nur an die gesetzlichen Vorschriften halten. Dazu gehört u.a. das Urheberrechtsgesetz, das noch nicht an die Richtlinie angepasst ist. Über einen Gesetzentwurf kann man diskutieren, wenn er vorliegt.
      Um Online-User geht es überhaupt nicht, denn das sind wir alle, egal, ob wir das Netz aktiv oder passiv nutzen. Die gesetzlichen Neuregelungen, die anstehen, haben unterschiedliche Auswirkungen auf zwei Personengruppen: 1. Urheber und 2. Personen, die eigene und/oder fremde Inhalte der Öffentlichkeit zugänglich machen möchten. Wer Rechte an eigenen Texten hat, ist Urheber, und ihm wird weder ein Recht genommen noch an Google überantwortet werden. Der Urheber entscheidet selbst, ob er ein Werk (z.B. Video-Podcast) auf Youtube hochlädt und es somit Google im Rahmen der AGB und der gesetzlichen Regelungen anvertraut, oder ob er Google mitteilt, dass er einem Upload durch Dritte widerspricht. In dem Fall müsste Google dafür sorgen, dass Uploads durch Dritte dem Publikum nicht zugänglich gemacht werden, es sei denn, es handelte sich um eine privilegierte, d.h. durch das Zitatrecht gemäß Art. 17 gedeckte, Form der Bearbeitung wie etwa eine Parodie. Der Uploader, der sich fremder Werke bedient, hat selbst nur insoweit eigene Rechte inne, als er sich mit dem zitierten Werk auseinandersetzt. Art. 12 und Art. 17 schaffen eine Möglichkeit, im Urheberrechtsgesetz hierfür eine Vergütung durch eine Verwertungsgesellschaft vorzusehen. Soweit ist es aber noch nicht. Bis dato kann jeder Youtuber aber versuchen, mit Youtube ins Geschäft zu kommen und sich nach Klicks vom Plattformbetreiber bezahlen zu lassen. Diese Vertragsfreiheit wird nicht angetastet.
      In dubio pro reo ist der Grundsatz, der für die Unschuldsvermutung und Zuweisung der Beweislast maßgeblich ist. Bisher war der Nutznießer der Unschuldsvermutung der Plattformbetreiber: Die E-Commerce-Richtlinie entband ihn von der Haftung für rechtswidrige hochgeladene Inhalte, solange er von der Rechtswidrigkeit keine Kenntnis hatte. Er konnte sich insoweit auf Gutgläubigkeit herausreden und musste zunächst bösgläubig gemacht werden, bevor man ihn in die Pflicht nehmen konnte. Per default war der Uploader (in Ihrer Diktion: User) in der Haftung. Die Beweislast dafür, nicht gegen das Urheberrecht verstoßen zu haben, lag bei ihm. Dies kehrt Art. 17 um. Der Uploader oder User ist aus dem Schneider, da der Plattformbetreiber für die Rechtmäßigkeit der angebotenen Inhalte verantwortlich sein wird.
      Zwangsweise wird auch kein Recht einer Verwertungsgesellschaft übertragen (Sie schreiben selbst, man könne widersprechen, also kann von einem Zwang keine Rede sein). Art. 12 schafft lediglich die Voraussetzung dafür, dass Plattformbetreiber durch Abschluss eines Pauschalvertrags mit einer VG ihrer allgemeinen Zahlungsverpflichtung genüge tun können. Jeder beteiligte Urheber kann dann auf dieser Grundlage seinen Anteil bei der zuständigen VG einfordern, er muss diese Möglichkeit aber nicht nutzen.
      Ein potenzieller Verbrecher ist der User allenfalls heute, aber auf keinen Fall, bevor er etwas postet. Das ist vollkommen absurd und unbegründbar. Worin eine Enteignung liegen soll, wird auch Ihr Geheimnis bleiben. Enteignung fand bisher millionenfach statt, wenn irgendwelche User fremde Musik, fremde Bilder oder fremde Texte hochgeladen haben, ohne die Urheber auch nur zu fragen, geschweige denn, ihnen dafür eine angemessene Vergütung zu bezahlen. Die Urheberrechtsnovelle ist gerade die Voraussetzung dafür, Enteignungstatbestände aus der Welt zu schaffen.

  2. Kollege W. dreht die alte Story von den Babytaliban immer noch weiter – zuletzt vorige Woche in der FAZ.
    https://blendle.com/i/frankfurter-allgemeine-zeitung/baby-taliban-mit-bosem-gesicht/bnl-faz-20190730-356686625
    Diesmal übertreibt er es wirklich, in dem er von „256 hoch 10000 Wahrscheinlichkeiten“ bei der maschinellen Auswertung eines Fotos schreibt. Wie er auf diese hyperastronomische Zahl kommt, 2,5 x 1024083, verrät er nicht. Jedenfalls ist sie um den Faktor drölf Fantastilliarden höher als die geschätzte Anzahl der Elementarteilchen im Kosmos. Für’n Spaß: Die Zahl könnte man auf 250 Tredezilliarden mit 24.000 weiteren Nullen abrunden. Da der Exponent laut dem Kollegen vielleicht auch nur 1000 und nicht 10000 betragen könnte, wären das dann nur noch 1,7 x 102409, also eine um 90 Prozent niedrigerer Wert. Dennoch fliegen im All angeblich nur 1078 Teilchen herum.

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