Rübenreporter

Kraut & Rüben ist eine Zeitschrift für Hobby-Biogärtner. Aber dort arbeiten die Krautreporter nicht, über die in diesen Tagen viel zu lesen ist. Der erste, ältere Markenname ist witzig, der zweite, neuere nur albern und damit für ein ambitioniertes Projekt eher unpassend. „Krautreporter“ ist die Sorte Kantinenkalauer, die man besser nicht an die Öffentlichkeit lässt. Schließlich handelt es sich um die Homophonie eines Ausdrucks, der seinerseits ungelenk, ja schlichtweg irreführend und – schlimmer noch – immanent abwertend bis beleidigend für die Zielgruppe ist: „Crowd Reporter.“ Eine Crowd ist eine Horde beliebiger Menschen, bei der das Individuum irrelevant ist. Tja, schon seltsam, dass sich ein so verächtlicher Terminus im Englischen durchgesetzt hat – siehe Crowd Sourcing und Crowd Funding. Sich zur Crowd zu zählen, ist in etwa so, als würde ein Journalist sich „Schreiberling“ nennen, zur „Journaille“ zählen und „Content“ produzieren.

Überdies bezieht sich der an die „Krauts“ erinnernde englische Ausdruck nicht einmal auf die Reporter, sondern auf die Art, wie sie das Geld auftreiben, von dem sie beim Reportieren leben. Die diffuse Masse ist also gerade gut genug als Sponsorenheer für den Journalismus, soll ihn aber bitte nicht selbst betreiben, wie das bei den Leserreportern der Bild-Zeitung der Fall ist?

Nein, es ist nicht lustig, wenn Reporter in einem Atemzug sich selbst und ihre Leser mit dem Klischee des Sauerkraut mampfenden Wehrmachtsinfanteristen identifizieren. Was beim „Krautrock“ noch originell und selbstironisch war, ist vierzig Jahre später nur noch peinlich.

Deshalb ist es wirklich schade, dass die Kollegen, die bei dem Projekt des notorisch umtriebigen Sebastian Esser mitmachen, kein Veto gegen den unsäglichen Namen eingelegt haben – zumal selbiger bislang nicht für ein Online-Magazin stand, sondern für eine so hochgejubelte wie erfolgsarme Recherchekostenzusammenbettelplattform. Die ist sang- und klanglos verschwunden, von einem Tag auf den anderen wurden alle Links auf Projekte gekillt.Fensteraufnahme 6 Die Geldgeber können auf krautreporter.de nicht mehr sehen, was die Beglückten mit dem Geld angestellt haben, denn die Domain dient jetzt allein dem neuen Projekt. Wo bleibt da die Wertschätzung für die Teilnehmer?

Völlig überraschend ist der Umgang mit den Freunden des alten Krautreporters freilich nicht. Esser, langjähriger Adlatus des genialen Selbstvermarkters Hajo „Achim Achilles“ Schumacher, hat Erfahrung in der Disziplin Trial & Error – einschließlich kurzer Prozesse, wenn etwas nicht läuft. Man denke nur an Spredder, den dilettantischen Versuch des Duos, eine Online-Textbörse für Journalisten zu etablieren. Spredder lebte nicht lange. Die erst im Dezember 2009 gegründete Firma wurde im Juli 2011 umgemodelt in die Superpublishing GmbH (allein der Name!). Die Überreste von Spredder landeten beim bundespostalischen Projekt „dieredaktion.de„, für das Hansjo-Achim Achilles heute noch wirbt. Aber mit einer Bilanzsumme von 15.883,83 Euro (2010) kann eine GmbH halt wirklich keinen Staat machen. Superpublishing diente jedenfalls fortan der Publikation von Werken des Superautors Schumacher, welcher schließlich auch selbst die Geschäftsführung übernahm.

Diese Vorgeschichte muss nicht gegen Krautreporter II sprechen, und von unserem Läuferfreund Schumachilles ist auf den ersten Blick auch nichts zu sehen. Es gibt schon so genug zu meckern. Im Interview mit Meedia tönt Esser beispielsweise:

„Die Kollegen in den Online-Redaktionen können nicht drei Wochen am Stück recherchieren. Solche Stellen gibt es im deutschen Online-Journalismus nicht. Und die Honorare für Freie sind online zudem so, dass man nicht davon leben kann.“

Damit erweckt er den Eindruck, bei Krautreporter sei das alles möglich: Drei Wochen am Stück recherchieren und von den Honoraren leben. Allein, es ist nicht wahr. Denn die offiziellen Konditionen für die Pauschalisten sehen vor, dass die Kollegen jede Woche eine Geschichte abliefern müssen, um im Monat 2000 bis 2500 Euro Honorar zu erhalten. Brutto, versteht sich, vor Abzug aller Betriebsausgaben, KSK und Steuern. Wer drei Wochen recherchiert, erfüllt nicht die Mindestquantität, die Bedingung für den Erhalt der Pauschale ist. (Und gibt es eigentlich bezahlten Urlaub? Eher nicht.)

Nun ist Selbstausbeutung keineswegs zwingend. Wenn man es in der Hand hat, für die Finanzierung eines werbefreien Online-Mediums selbst die Rahmenbedingungen festzulegen, muss man nicht die Top-oder-Flop-Schwelle willkürlich bei 15000 Krautgebern setzen, von denen jeder 60 Euro für ein Jahresabo hinlegen soll. Man könnte auch ehrlich rechnen und die realistischen Kosten ansetzen, die anfallen, wenn man erfahrene Rechercheure einsetzt und so anständig honoriert, dass sie davon auch in einer süddeutschen Großstadt eine Familie ernähren können. Dann hängt die Messlatte natürlich höher, oder das Geld reicht nur für eine kleinere Redaktion und weniger Texte, oder die Sponsoren sind eben nur für drei oder sechs Monate an Bord. Aber der Sinn eines Projekts, das von Journalisten betrieben wird, kann nun einmal nicht darin bestehen, sich unter Wert zu verkaufen und damit jenen Verlegern, die noch gute Honorare und korrekte Tarifgehälter zahlen, zu signalisieren, ihre Leute seien eigentlich zu teuer.

Damit bin ich noch gar nicht auf die Kritikpunkte eingegangen, die an anderer Stelle bereits angesprochen wurden:

– Wer für Krautreporter bezahlt, der bezahlt nicht fürs Lesen oder für die Recherche, sondern dafür, seinen Senf abgeben zu dürfen. Die Texte sollen in voller Länge gratis zugänglich sein, Login ist nur zum Kommentieren erforderlich. Wer kein gesteigertes Mitteilungsbedürfnis hat, der hat in diesem Geschäftsmodell keinen Anreiz, sich an den Kosten zu beteiligen.

– Leser sollen die Katze im Sack kaufen, für ein Jahr im voraus. Das schreckt ab.

– Was aussieht wie ein Projekt von Journalisten, ist auch wieder nur ein altbackenes Verlagsmodell: Es gibt eine Medienfirma, die Leistungen bei Autoren einkauft und diese pauschal honoriert. Der einzelne Autor trägt zwar kein unternehmerisches Risiko, erhält aber auch keine Erfolgsbeteiligung.

– Es ist unklar, in welcher Form die Leser-Crowd Einfluss darauf nehmen kann, welche Themen bearbeitet werden. Wenn Esser das Internet wirklich als Dialogmedium versteht, muss mehr Interaktion her. Oder er muss eben zugeben, dass in dem Fall die Verschwörungstheoretiker einfordern würden, dass endlich etwas über Chemtrails & Co. gebracht wird. Für Horden von Gestörten und Demagogen, die sich dank des Internets eh schon prächtig ausbreiten können, wäre ein Mitspracherecht eine glatte Einladung. Das kann ein seriöser Journalist nun auch nicht wollen.

– Weil es keine Paywall gibt, kann man auch keine einzelnen Beiträge kaufen.

– Auch das Inkasso per Kreditkarte – abzurechnen über einen amerikanischen (!) Zahlungsdienstleister – ist eine Dummheit. In keinem Industrieland ist die Abneigung gegen Kreditkarten größer als in Deutschland. Man kann genausogut über einen deutschen Dienstleister das Lastschriftverfahren anbieten. Das Argument, das Geld werde nur dann abgebucht, wenn das Quorum erreicht wird, spricht nicht für Mastercard: Auch eine Lastschriftermächtigung wird erst wirksam, wenn man die Lastschrift tatsächlich bei der Bank einreicht.

Wo bleibt das Positive? Nun, es machen einige namhafte Kollegen mit, bei denen man sich in berufsethischer Hinsicht keine Sorgen machen muss. Designierter Chefredakteur ist Alex von Streit, als Autoren dabei sind unter anderem Jens Weinreich, Richard Gutjahr und Thomas Wiegold. Ob für sie die Rechnung aufgeht, wage ich zu bezweifeln. Aber 60 Euro von mir gibt es erst, wenn am 13. Juni um 23:59 Uhr erst 14999 Krauter angemeldet sind.

P.S. (19. Mai): Kollege Hardy Prothmann (bekannt als Heddesheimblogger) fragt, welches Kraut die Reporter geraucht hätten.

Sie sind der oder die 20709. Leser/in dieses Beitrags.

23 Antworten auf „Rübenreporter“

  1. Muss es denn gleich wieder der „Wehrmachtsoldat“ sein, an den das (verhältnismäßig häufig gebrauchte) Wort erinnert? Steht denn gar kein Weg offen, sich selbst zu ironisieren, und warum ist das beim Krautrock zulässig, nicht aber bei einer späteren Wortschöpfung? Das ist so deprimierend.

    1. Deprimierend ist nur die Gedankenlosigkeit, mit der solche Wortschöpfungen in die Welt gesetzt werden. Vor 40 Jahren, als der Krautrock entstand, wusste noch jeder, was die Krauts waren. Die Krautrocker waren die Kinder und Enkel der Krauts, nicht deren Ur- oder gar Ururenkel. Darum passte das in die damalige Zeit. In die heutige passt es nicht mehr. Und klares Nein: Wenn das Selbstironie sein soll, ist sie missglückt.

  2. Wo man auch hinschaut dieser Tage, bekommt man ganz schön Gegenwind, wenn man kritische Anmerkungen zu den Krautreportern macht. Das sei typisch deutsch, heißt es dann, und man soll das junge Pflänzchen nicht welk reden, bevor die Knospen zu sehen sind. Meine Güte, wer das für typisch deutsch hält, hat wohl nie miterlebt, wie gemein bis ätzend amerikanische Kritikaster in vergleichbaren Fällen sein können. 😉
    Ich fürchte, typisch deutsch (Version 21. Jhdt.) ist das Kritiker-Bashing. Nur tut man keinem Startup einen Gefallen, wenn man es in Watte packt und alles hochjubelt und ein Feuchtbiotop mit doppeltem Krötenzaun herum anlegt. Ich stelle mir gerade vor, jemand hätte einst für Rudolf Augstein und Axel Springer Welpenschutz verlangt. Damals waren wohl noch nicht so viele Medienschaffende waldorfschulsozialisiert.

  3. Ja, ich dachte auch, man wolle auf die 70er anspielen mit „Krautrock“, auf das Wortspiel mit der „Crowd“ bin ich gar nicht gekommen, da *graut* es mir ja glatt vor…

    Und nun, 3 Wochen recherchieren darf man als Redakteur nirgends online, auch nicht bei Telepolis. Als Autor ist es was anderes, da weiß ja niemand, wann man angefangen hat, wenns nicht gerade ein Eventbericht ist. Aber deshalb verdienen Autoren ja auch schlechter als Redakteure.

  4. Ich bin nicht unbedingt ein Freund von Crowdfunding, es gibt viele Projekte aus anderen Bereichen, bei denen man das Gefühl hat, die Initiatoren wollen sich von der Abhängigkeit eines Geldgebers (zum Beispiel eines Filmproduzenten) in die Abhängigkeit vieler begeben, in dem man diesen bei entsprechened hohen Beträgen irgendwelche Bonus-DVDs oder exclusive Dinner mit der Film-Crew verspricht. Da würde ich doch lieber einen langweiligen Kredit vorziehen.

    Bei Krautreporter sehe ich das etwas anders, weil es quasi als PrePaid-Abo funktioniert, mit einem durchaus angemessenen Betrag, denn € 5 im Monat gibt man sicherlich auch für andere Printmagazine aus. Das man hier die Katze im Sack kauft sehe ich nicht unbedingt, viele Autoren sind bereits bekannt und es es ist darüber hinaus ein relativ begrenztes Risiko, was man eingeht.

    Was ich aber nicht ganz nachvollziehen kann ist die Kritik an den angeblich unterfinanzierten Redakteuren. Natürlich sind € 2.000 – € 2.500 sind für einen freiberuflichen Journalisten kein Betrag, wovon man leben kann. Aer eine gute Basis, denn alle werden weiterhin auch andere Eisen im Feuer haben. Und braucht man für jeden Artikel eine Recherche von drei Wochen? Sicherlich nicht. Es wird einige geben, bei denen das der Fall sein wird. Aber auch wenn der Krautreporter mit seinem recht hehren Anspruch suggeriert, es würde sich bei allen Beiträgen auf der Plattform um großangelegte Reportagen mit eingebautem Pulitzer-Preis für den Autor handeln, so denke ich, dass es dort wie in jedem anderen Magazin auch eine Mischung verschiedener Formate geben wird: Aufwändige, textintensive Reportagen und Analysen und daneben auch viele kürzere Inhalte, zum Beispiel Glosse oder Kommentar. Wie bei so vielem anderen vermutlich eher eine Mischkalkulation.

    1. Stimmt sicher alles. Das ist aber der Punkt: Wenn es darauf hinausläuft, dass die Kollegen doch nur ihre Routinesachen abspulen (oder, wie ein böser Zeitgenosse unkte, das als Zweitverwertungsplattform nutzen), dann ist die Sache überflüssig. Das ganze Pomp, Duck & Circumstance um die tolle Plattform weckt halt höhere Erwartungen als Business as usual.
      Widerspruch in einem Punkt: Wenn tatsächlich jemand die drei Wochen in eine Recherche steckt, muss er in der vierten Woche drei Storys abliefern. Anders kann man die Angaben zur Bezahlung nicht deuten.

  5. @carsten wilk

    Darf ich Sie an Google verweisen, oder soll ich Ihnen hier den Unterschied zwischen „Freiberufler-Brutto“ & „Arbeitnehmer-Brutto“ aufdröseln?
    Will sagen: Ihr Gehaltsvergleich (Krankenschwester & Co vs Krauti-Honorar) hinkt. Ganz gewaltig sogar.

Schreibe einen Kommentar zu UJF Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert